Biografie
1. Worin liegt der Sinn einer Biografiearbeit, warum arbeite ich mit Biografien, was muss ich beachten?
1.1
Um meinen Auftrag als Altenpflegerin zu erfüllen, muss ich die Arbeit mit dem alten Menschen ganzheitlich auf ihn ausrichten. Dieses kann ich aber nur erreichen, wenn ich den alten Menschen besser kennenlerne und durch das Biografikgespräch ansatzweise herausfinde, welche Bedürfnisse, Wünsche, Gewohnheiten und Eigenarten der alte Mensch sich im Laufe seines Lebens zu eigen gemacht hat. Die Menschen werden sehr stark durch ihre Geschichte geprägt. Manchmal fällt es dem Altenpfleger schwer den alten Menschen so zu akzeptieren, wie er sich gerade zeigt, oft weiß der Altenpfleger nichts von den Bedürfnissen der alten Menschen, weil dieser sich nicht dazu äußert. Er würde dann so mit ihm arbeiten, wie er selbst meint, dass das auf den alten Menschen zutrifft, weil man durch die Arbeit in Praxis und Theorie gelernt hat, wie man arbeiten sollte. Auf diese Art und Weise könnte man aber nicht von Ganzheitlichkeit sprechen, sondern eher von gutem Willen, im Sinne des alten Menschen zu arbeiten. Ob man dadurch jedoch tatsächlich seinem Willen oder seinen Bedürfnissen entsprechend handelt, ist fraglich.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Biografie
- 1.1 1. Worin liegt der Sinn einer Biografiearbeit, warum arbeite ich mit Biografien, was muss ich beachten?
- 1.2 2. Beschreibung und Begründung zur Auswahl der Person, Schritte zur Kontaktaufnahme und Vereinbarungen zur Zusammenarbeit.
- 1.3 3. Beschreibung und Begründung zur Gestaltung der Gesprächssituation.
- 1.4 4. Auswertung (Betrachtung, begründete Schilderung der daraus gewonnenen Eindrücke)
- 1.4.1 4.1 Ich glaube, dass Herr W. schon sehr früh Verantwortung für sich selbst übernahm.
- 1.4.2 4.2 Ich denke, dass Herr W. ein sehr gläubiger Mensch ist.
- 1.4.3 4.3 Meiner Meinung nach Herr W. legt größten Wert auf ein gepflegtes Äußeres, Ordnung und Sauberkeit.
- 1.4.4 4.4 Ich glaube, dass Herr W. versucht sich von seinen Mitmenschen abzugrenzen.
- 1.4.5 4.5 Ich habe den Eindruck, dass Herr W. sich niemandem unterordnen möchte.
- 1.4.6 4.6 Ich denke Herr W. hat wenig Vertrauen zu seinen Mitmenschen was die innersten Gefühle und Geheimnisse angeht.
- 1.4.7 4.7 Ich vermute Herr W. ist ein sehr sensibler Mensch (feinfühlig)und rasch verletzbar.
- 1.4.8 4.8 Ich vermute der Gedanke abhängig zu sein, ist für Herrn W. sehr unangenehm
- 1.4.9 4.9 Ich glaube Herr W. leidet darunter, dass die Beziehung zu seiner Frau anders geworden ist als früher
- 1.4.10 4.10 Ich vermute Herr W. wird durch eigene Aufgaben und Erfolgserlebnisse aufgebaut
- 1.4.11 4.11 Herr W. will auf keinen Fall in ein Altenheim
- 1.5 5. Impulse für die weitere Arbeit werden entwickelt und begründet.
- 1.6 6. Reflexion des Arbeitsprozesses.
- 1.7 7. Anmerkungen:
Ohne die Biografiearbeit mit jedem einzelnen wird man nicht auf den alten Menschen, persönlich, eingehen können, sondern nur eine vielleicht passende Arbeit machen, die den alten Menschen nicht unbedingt selbst anspricht. Sondern „den allgemeinen alten Menschen“. Er könnte dadurch in den vorhandenen Ressourcen falsch eingeschätzt und in seinen Fähigkeiten gebremst werden. Durch die Biografiearbeit kommt man dem alten Menschen sehr nah, es entwickelt sich so etwas wie Vertrautheit auf beiden Seiten. Der Altenpfleger wird sich im Laufe der Geschichte sicher oft in den alten Menschen hineinversetzen können und Verhaltensweisen, Zusammenhänge und Reaktionen des alten Menschen besser verstehen und deuten können. Er lernt den alten Menschen, mit seinen Gefühlen, viel besser kennen, weil er an der Geschichte des alten Menschen teilhaben darf und das Empfinden des alten Menschen, die er durch seine Mimik, Worte, Gesten und Gefühlsäußerungen zeigt, miterleben kann. Man hat die Möglichkeit, den alten Menschen ganz persönlich kennenzulernen und die Arbeit mit ihm auf ihn persönlich auszurichten. Vielleicht erfährt man im Laufe des Gespräches, welche Interessen und Ressourcen der alte Mensch hat, die nicht offensichtlich waren.
Man wird den alten Menschen nicht mehr „nur“ in der jetzigen Situation betrachten, sondern die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sehen und daran, im Sinne des alten Menschen anknüpfen, um mit ihm zu arbeiten. Bei verwirrten alten Menschen kann man durch das Erstellen der Biografie mit ihm, seinen Angehörigen oder Freunden, durch das Kennenlernen der Geschichte evtl. neue Ideen für die zukünftige Arbeit mit dem verwirrten alten Menschen bekommen. Man darf die Biografie aber nie allein sehen, sondern auch den Menschen, der sich jetzt gerade zeigt, um die Ganzheitlichkeit zu gewährleisten.
1.2
Während des Erzählens, durchlebt der alte Mensch die Stationen, die er im Laufe seines Lebens durchlaufen hat, noch einmal, seine Geschichte wird ihn gefühlsmäßig sehr beschäftigen. Er kann freudige, aber auch negative Empfindungen noch einmal erleben und noch nicht verarbeitetes auf diese Weise vielleicht verarbeiten und überdenken und ganz neu erkennen. Durch Wiederaufnahme seiner Lebensgeschichte, die ihn in vielerlei Hinsicht geprägt hat, wird er sehr viel durchdenken, auch nachdem die Biografin längst gegangen ist. Seine Konzentration wird gefördert, ohne dass man ein „Freizeitprogramm“ für den alten Menschen ausarbeiten muss. Es werden Erinnerungen an die Situationen im Leben wach, die schon lange vergessen waren und weiter durchdacht. Der Alltag des alten Menschen erfährt eine Bereicherung, da er durch das Erzählen zum Denken angeregt wurde und er sich damit beschäftigt und gleichzeitig Zuwendung durch den Schreiber erfährt. Er hat Ablenkung und Beschäftigung, auch wenn er durch Immobilität körperlich eingeschränkt ist. Menschen, die sich nur wenig an die eigene Geschichte erinnern, werden durch Impulse, die man ihnen gibt, angeregt über ihr Leben nachzudenken oder nur an eine bestimmte Kleinigkeit zu denken. (wie groß dieser Umfang sein wird, liegt an den persönlichen Fähigkeiten des Einzelnen) Sie können ihre evtl. verloren (oder fast) gegangene „eigene Persönlichkeit“ wieder erkennen (oder einen Teil davon).
1.3.
Die Biografiearbeit ist für den alten Menschen eine Offenbarung seines ganzen Lebens, deshalb sollte man sehr behutsam damit umgehen. Durch die Erzählungen werden Emotionen bei dem alten Menschen hervorgerufen, die freudig, traurig, nachdenklich, vielleicht auch wütend stimmen.
Beim Erstellen der Biografie sollte ich die Umgebung so wählen, dass der alte Mensch sich wohlfühlt. Er sollte Zeit und Ruhe haben und nicht durch allzu starke Schmerzen gestört sein. (Bei leichteren Schmerzen ist die gemeinsame Arbeit oft eine gute Ablenkung) weiterhin sollte eine sehr angenehme und gemütliche Atmosphäre herrschen. Was der alte Mensch als angenehm und gemütlich empfindet, kann ich in Gesprächen mit ihm erfahren, da jeder Mensch eine andere Auffassung darüber hat. Ich sollte auch die psychische Verfassung des alten Menschen beachten und abwägen, ob der Zeitpunkt eines Biografie-Gespräches sinnvoll für den alten Menschen ist. Ich sollte dem alten Menschen ausreichend Zeit einräumen und ihn nicht zur Fertigstellung seiner Erzählungen hetzen.
Der alte Mensch sollte die Biografie gern mit mir erstellen und nicht in diese Arbeit hineingezwungen werden, nur so kann sich die gemeinsame Arbeit effektiv auf die spätere Arbeit mit dem alten Menschen auswirken. Außerdem sollte der alte Mensch, mit dem ich eine Biografie erstellen möchte, nicht überfallen werden, sondern ihm sollte eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt werden, damit er in Ruhe entscheiden kann, ob er wirklich Lust dazu hat. Es sollte ein fester Termin, bei dem Anfang und Ende des Gespräches festgelegt ist, mit dem alten Menschen vereinbart werden. Der alte Mensch sollte im Vorfeld darüber aufgeklärt sein, was es heißt, eine Biografie zu erarbeiten. Ich sollte ihm alles in Ruhe erklären, auch weshalb eine Biografie sehr bereichernd sein kann. Vorteilhaft ist es, wenn sich der Erzählende und der Schreiber sympathisch sind, damit man unvoreingenommen an die Arbeit geht.
Man sollte aufpassen, dass man eine im Vorfeld gefestigte Meinung über den alten Menschen nicht mit in die Biografie legt, sondern das schreibt, was der alte Mensch auch wirklich sagt und meint. Die Meinungen Dritter sollten deutlich als solche gekennzeichnet sein, damit man merkt, dass es nicht die Meinung des Erzählers darstellt. Die Form, wie diese Biografiearbeit geschrieben wird, muss mit dem alten Menschen abgesprochen werden, dabei geht es um z. B. Form, Bilder, Redewendungen und auch den Inhalt. Es darf bei dieser Biografiearbeit nicht darum gehen, möglichst viele Informationen vom Erzähler zu erhalten. Das gemeinsame Gespräch, das nicht nur, auf die Verschriftlichung der Geschichte gerichtete Interesse des Zuhörers, die erlebten Gefühle beim Reflektieren des Erzählers und das ehrliche Mitfühlen des Schreibers machen die Qualität der gemeinsamen Gespräche aus. So kann der alte Mensch diese Arbeit an seiner Biografie selbst auch als Bereicherung empfinden. Die Aufzeichnungsmethode sollte ich auch mit dem alten Menschen abstimmen, da sicher nicht jede Methode von dem alten Menschen akzeptiert wird.
2. Beschreibung und Begründung zur Auswahl der Person, Schritte zur Kontaktaufnahme und Vereinbarungen zur Zusammenarbeit.
Nachdem ich eine Woche mit meiner Anleitung jeden Morgen nach Herrn W. zur Pflege gefahren bin, stellte ich für mich fest, dass Herr W. mir sehr sympathisch war und ich gern mehr über ihn erfahren wollte. Meiner Meinung nach zeigte Herr W. sich uns als ein sehr ungeduldiger Mensch, dem man bei der Pflege nicht schnell genug und nicht vorsichtig genug war. Er wusch sich morgens immer schon allein vor damit er sauber war, anders würde er das nicht wollen, weil er sich unwohl dabei fühlen würde. (das Gesäß besonders nach Toilettengängen wusch er mit Unterstützung seiner Frau) danach fühlte er sich immer sehr geschwächt und musste an sein Sauerstoffgerät. Mich interessierte es, warum er sich so quälte, nur um uns den Anblick eines nicht gewaschenen Menschen zu ersparen.
Im Anschluss an die Pflege bot er uns immer einen Kaffee an und war sehr freundlich, gesprächig und überhaupt nicht mehr ungeduldig. Er lobte jedes Mal die Pflege und war sehr zufrieden, obwohl er uns bei der Pflege den Eindruck vermittelte, zu langsam, zu schnell und zu grob oder zu vorsichtig zu sein. Nach der Pflege mit ihm stand den Pflegekräften der Schweiß auf der Stirn, ohne, dass man sich körperlich zu sehr angestrengt hätte. Ich hatte damals den Eindruck, dass die Arbeitsschritte, die er noch nicht ganz ausgesprochen hatte, mit seinem Satzende schon erledigt sein sollten. Nach einigen Tagen hatte ich mich aber an das Tempo und die Arbeitsweise während seiner Pflege gewöhnt. Ich spürte, dass die Sympathie auf beiden Seiten lag.
Über Herrn W. konnte mir meine Anleitung nicht viel erzählen, da er erst kurz mit dem Pflegedienst zusammen arbeitete und weder Pflegeplanung noch andere persönliche Dinge, die nicht das Krankheitsbild betrafen, vorlagen. Ich fragte Herrn W. nach der Pflege, beim Kaffeetrinken mit seiner Frau und meiner Anleitung, ob er sich vorstellen könnte, mit mir seine Biografie zu erstellen.
Ich erklärte ihm, dass das eine Hausaufgabe der Schule sei, ich ihn sehr sympathisch finden würde und mir gut vorstellen könnte diese Biografie mit ihm zu erarbeiten. Geantwortet hatte eigentlich zuerst Fr. W. Sie war sofort begeistert und meinte zu ihrem Mann: „Heinz, das wäre doch was, du hast so viel erlebt und kannst so viel erzählen!“ Herr W. lächelte mich an und sagte, dass er auch Lust hätte, wollte aber alles noch einmal ausführlich erklärt haben, warum wir so eine Arbeit machen sollten und was das mit Altenpflege zu tun hätte. Ich erzählte ihm von der Ganzheitlichkeit der Arbeit und beschrieb ihm, warum es oft wichtig wäre, die Biografie dafür, als Anknüpfungspunkt zu sehen. Dann sagte ich ihm, dass er sich alles noch einmal genau überlegen solle und ich ihn in einer Woche noch einmal fragen würde. Schon zwei Tage später präsentierte er mir lachend einen Zettel mit der Auflistung der wichtigsten Daten und fragte mich, wann wir denn endlich anfangen würden. Ich empfand die Bedenkzeit für ihn als angemessen, da er selbst darum, bat anzufangen. Wir besprachen den Zeitpunkt, den Ort und auch die Zeitspanne, welche nicht länger als zwei Stunden dauern sollte, damit ich Herrn W. nicht überfordern würde. Herr W. zog es vor, in seiner Wohnung zu bleiben, weil er dort, sollte es gesundheitliche Schwierigkeiten geben, alles Wichtige vor Ort hätte und sich somit sicherer fühlen würde.
Die Aufzeichnungsmethode besprachen wir etwas länger, ich konnte mir zum damaligen Zeitpunkt nicht vorstellen, wie das für Herrn W. sein würde, wenn er erzählte und ich schreiben würde. Das Aufnehmen mit dem Rekorder konnten wir schnell verwerfen, weil die Stimme von ihm sehr leise und meiner Meinung nach sehr nuschelig war, sodass man von der Kassette kaum etwas verstanden hätte. Wir einigten uns darauf, dass ich mir Stichpunkte machte und bei späteren Unklarheiten nochmals fragen könnte. Wenn das nicht möglich gewesen wäre, wollten wir nach einem anderen Weg suchen. Mir war es sehr wichtig jeden einzelnen Punkt mit Herrn W. zu besprechen, weil ich ihn als vollwertigen Partner ansah. Mir war klar, dass er mir seine ganze Lebensgeschichte erzählen wollte, obwohl wir uns nicht gut kannten und er sicher noch kein Vertrauen aufbauen konnte. Ich wollte, dass er sich bei unserem Gespräch wohlfühlte und bat ihn auch deshalb jede Frage zu stellen, die er wollte.
Die Bedenkzeit räumte ich ihm ein, damit er sich wirklich überlegen konnte, ob er Lust hätte und sich nicht in diese Rolle herein gezwungen fühlte. Den Ablauf der Biografiearbeit planten wir, damit sich beide auf die Situation einstellen und bei Nichtgefallen den Plan auch ändern konnten. Herr W. fragte mich bei unserer Planung, warum ich Altenpflegerin lernen wollte. Er fragte, ob ich glauben würde dadurch, etwas zu erben oder an das Geld der alten Leute zu kommen. Er könne sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass es Spaß machen würde, alte Menschen zu waschen und die „Vorlagen“ zu wechseln. Ich erklärte ihm, dass das nicht die alleinige Aufgabe einer Altenpflegerin sei und dieser Beruf sehr viel Freude machen würde. Nachdem ich ihm dann die wichtigsten Punkte erzählt habe, antwortete er mit einem „Ja dann ist ja gut, ich wollte es nur wissen“. Wir besprachen, wie die Biografie aufgesetzt werden sollte und waren beide überzeugt, dass wir Herrn und Frau W. beim Vornamen nennen sollten, da, wenn er die Kopie bekommen würde, das Lesen für ihn persönlicher sein würde.
Bilder wollte Herr W. mir erst im Anschluss an meinen Abgabetermin geben, da er überzeugt war, dass die Schule kein Interesse daran haben dürfte. Ich hatte Herrn W. versprochen, ihm seine Kopie meiner Aufzeichnungen besonders schön zu gestalten. Da ich dafür allerdings noch Zeit benötige, weiß er, dass er noch etwas darauf warten muss. Herr W. hat meine fertige Biografie noch einmal durchgelesen und nachdem ich einzelne Punkte, die er mir sagte, dazu geschrieben habe, für gut befunden. Alles, was in dieser Biografie steht, hat Herr W. mir gesagt und bei Aussagen seiner Frau habe ich das kenntlich gemacht!
3. Beschreibung und Begründung zur Gestaltung der Gesprächssituation.
Zum ersten Termin sprachen wir ab, dass wir uns nachmittags um 16:00 Uhr nach dem Mittagsschlaf in der Wohnung von Herrn W. trafen. Wir legten eine Zeit fest, die zwei Stunden nicht überschreiten sollte. Fr. W. hatte bei meinem Eintreffen schon Kaffee gekocht, ich brachte ein Stück Kuchen mit. Nachdem ich Fr. W. beim Decken des Kaffeetisches geholfen hatte, tranken wir erst Kaffee im Esszimmer und unterhielten uns über die Kinder des Ehepaares, über die Enkeltochter und über die Zeiten aus denen Herr W. berichten wollte.
Dann steckte Herr W. sich einen Zigarillo annahm seinen Zettel und fragte mich, ob wir anfangen wollten. Nachdem ich mein Heft und den Stift in der Hand bereitgelegt hatte, fragte er mich, was ich wissen wollte. Ich antwortete ihm: „Das, was Sie mir erzählen wollen.“ Er las mir anfangs von seinem vorbereiteten Zettel ab, was er für wichtig befand, auf meine Zwischenfragen reagierte er kurz angebunden und knapp. Im jugendlichen Alter, eigentlich ab Kriegsanfang, legte er den Zettel an die Seite und erzählte frei, er hatte gerade eine Sache erzählt, da fiel ihm schon die nächste Sache ein. Nach ca. 1Stunde fragte ich Herrn W., ob wir nicht erst einmal Schluss machen sollten, weil ich merkte, dass ihn die alten Geschichten sehr aufregten, weil er einen roten Kopf bekommen hatte und öfter nach Luft rang. Herr W. dachte aber nicht ans Aufhören, er wollte weiter erzählen. Ich hatte den Eindruck, als wolle er sich die ganzen Erlebnisse des Krieges von der Seele reden.
Da ich mir Sorgen machte, bat ich ihn den Blutdruck messen zu dürfen, widerwillig stimmte er zu. Wie vermutet war der Blutdruck sehr hoch und ich bat ihn erst einmal Schluss zu machen und einen anderen Termin auszumachen. Erst als auch seine Frau ihn bat, doch aufzuhören, willigte er ein. Nachdem ich Herrn W. zu seinem Sessel begleitet hatte, bedankte ich mich bei den Eheleuten und verabschiedete mich. Am nächsten Tag sprachen wir einen neuen Termin ab, der eine Stunde nicht überschreiten sollte. Von nun an sprachen wir sehr viel über seine Lebensgeschichte. Wir haben uns oft getroffen, auch vormittags nach der Pflege, und manchmal sehr spontan entschieden (durch Fragen, ob man Lust oder Zeit hätte)doch noch ein wenig an der Biografie zu arbeiten. Oft waren es auch nur belanglose Gespräche, bei denen wir uns viel näher kamen.
Diese Gespräche fanden entweder im Esszimmer oder in Herrn W. Privatzimmer statt. Regelmäßig saß auch seine Frau dabei und gab ihm Anregungen, was er denn noch erzählen könnte oder was er vergessen hatte. Bei diesen Gesprächen tranken wir immer Kaffee, der eigentlich, uns beiden signalisierte ein ungezwungenes schönes Gespräch in gemütlicher Atmosphäre zu führen. Herr W. sagte mir, dass er sich im Esszimmer und in seinem Zimmer am wohlsten fühlen würde. Einen festen Termin hatten wir ausgemacht, damit das Ehepaar sich darauf einstellen konnte. Die beiden haben sich im Laufe der Jahre einen festen Tagesrhythmus angeeignet und den wollte ich nicht stören. Die Zeit hatten wir festgelegt, damit Herr W. der sehr schwach und kachektisch ist, zusätzlich von akuter Luftnot und hohem Blutdruck geplagt wird, sich nicht zu sehr anstrengt. Später sagte er von allein, heute habe ich Lust oder auch nicht.
Mir lag sehr daran, dass wir eine ruhige, gemütliche und entspannte Atmosphäre hatten, und Herr W. sich wohlfühlte, wenn wir mit der Arbeit anfingen. Da wir uns am Anfang noch nicht so gut kannten, wollte ich durch das gemeinsame Kaffeetrinken eine gewisse Intimität schaffen, die Herrn W. das Erzählen erleichtern sollte. Und ihn ermunterte würde so zu erzählen, wie er es wollte und nicht nach starren Vorgaben. Ich hatte mir überlegt, dass man durch das Anregen, er solle erzählen, was er mir erzählen möchte, eine ungezwungene Atmosphäre erhalten würde, weil es nichts Vorgeschriebenes gab, auf das er antworten musste. Bei unserem ersten Gespräch war die Aufzeichnungsmethode eine Probe, weil weder Herr W. noch ich genau wussten, ob es so funktionieren würde. Da ich mir stichpunktartig aufschrieb, was er erzählte und auch nachfragte, wenn mich etwas besonders interessierte, war das Schreiben nebenbei aber kein Problem.
Nach dem Biografiegespräche arbeitete ich das Aufgeschriebene noch mal zu Hause durch und merkte schnell, was mir noch unklar war. Diese Fragen stellte ich Herrn W. am nächsten Tag, wenn ich nach der Pflege noch die Tasse Kaffee mit dem Ehepaar trank oder rief ihn wie wir es abgesprochen hatten an. Bei den weiteren festgelegten Terminen brachte ich nicht immer Kuchen mit, da inzwischen schon eine Vertrautheit da war, die das Erzählen und auch das Zuhören und Fragen sehr erleichterte und nicht nur mit einem schön gedeckten Kaffeetisch gemütlich war. Der Zettel von dem Herr W. anfangs abgelesen hatte, gehörte schon nach dem zweiten Gespräch nicht mehr dazu, weil wir durch die neu entstandene Atmosphäre, beide nicht mehr aufgeregt waren, und uns ungezwungen unterhalten konnten. Dadurch konnte ich viel besser auf ihn eingehen, und seiner Geschichte, seinen Empfindungen (Mimik und Gesten) und Emotionen folgen.
4. Auswertung (Betrachtung, begründete Schilderung der daraus gewonnenen Eindrücke)
4.1 Ich glaube, dass Herr W. schon sehr früh Verantwortung für sich selbst übernahm.
Begründung:
Er wurde als erstes Kind von drei Kindern geboren. Er ging schon als Kind nach der Schule arbeiten und erlebte, wie es war, durch Arbeit an Geld zu kommen. Durch die Erwerbslosigkeit seines Vaters und die Erziehung lernte er, dass man sich nur selbst helfen kann. (Verbot des Vaters etwas anzunehmen, selbst wenn man Hunger hat.) da die Mutter ihre Kinder in die Arbeit mit einbezog und lernten sie schon sehr früh, dass man sehr hart für sein Geld arbeiten muss.
4.2 Ich denke, dass Herr W. ein sehr gläubiger Mensch ist.
Begründung:
Er betete schon in der Jugend sehr intensiv die Muttergottes an, er baute sich seinen eigenen Altar mit der Muttergottes darauf und eine Kirchenbank, die ihm Gelegenheit bot, so oft zu beten, wie er wollte. Diesen starken Glauben gab er durch die sonntäglichen Kirchgänge, mit seinen Kindern, auch an seine Familie weiter, als er erwachsen war.
4.3 Meiner Meinung nach Herr W. legt größten Wert auf ein gepflegtes Äußeres, Ordnung und Sauberkeit.
Begründung:
Herr W. genoss unter seinem Vater eine strenge Erziehung, was Sauberkeit, Ordnung und Benehmen anging. Auch wenn es ihm nicht gut geht, möchte er rasiert, gewaschen, frisiert und elegant angezogen sein. Diese Erziehung ist ihm in Fleisch und Blut übergegangen.
4.4 Ich glaube, dass Herr W. versucht sich von seinen Mitmenschen abzugrenzen.
Begründung:
In unseren Gesprächen während der Biografiearbeit und der Pflege betonte er immer wieder, dass er sich, anders als andere, immer gewaschen hatte, immer korrekt gekleidet war und er es nicht ertragen könne sich schmutzig zu fühlen. Das wird aber auch weiter geführt, wenn er aus der Kriegszeit berichtet und immer wieder erzählt, dass er andere Wege als die anderen eingeschlagen hatte und auf diese Weise sein Leben rettete oder Blasen an den Füßen vermied. Der Bericht, er allein hätte die Hälfte des Umsatzes, wie sieben Personen zusammen gemacht, sieht für mich auch so aus.
4.5 Ich habe den Eindruck, dass Herr W. sich niemandem unterordnen möchte.
Begründung:
Er erwähnte das schlechte Verhältnis zu seinem Vater, nach seinen Erzählungen war sein Vater ein sehr bestimmender Mann, der seiner Familie Regeln aufsetzte, die eingehalten werden mussten. Der Streich mit der Eisenkette und dem Strom ist meiner Meinung nach ein weiteres Indiz, dass er schon als Kind dieses Unterordnen hasste. Ich glaube, er zeigte damit, dass er sich trotz des ungeschriebenen Gesetzes „Der Kunde ist König“ in der höheren Position fühlte. Auch in den Kriegsjahren zeigte er oft, dass er seinen Weg gehen wollte, indem er den Befehlen der Vorgesetzten nicht folgte, oder nur kleine eigenständige Veränderungen des jeweiligen Befehls vornahm. Den Willen wieder an die Front zu gehen, war meiner Meinung nach auch ein Grund, dieser völligen Unterordnung zu entfliehen. Meiner Meinung nach enthält die ganze Biografie von ihm solche Hinweise. (z. B. Die Fahrt mit dem Lkw zur Taufe der Kinder, das eigenständige Entscheiden seine tote Tochter im Grab seines Vaters zu beerdigen, die Selbstständigkeit in der er sein eigener Chef war, der Umgang mit dem Pflegepersonal.)
4.6 Ich denke Herr W. hat wenig Vertrauen zu seinen Mitmenschen was die innersten Gefühle und Geheimnisse angeht.
Begründung:
Er vertraute sich nie jemanden an, wenn es um Dinge ging, die ihn wirklich belasteten. Schon als Kind sprach er über seine Probleme nicht mit den Eltern, Geschwistern oder Freunden, er betete zu Maria, vertraute ihr alles an und ist überzeugt, dass sie ihm immer half. (Ich glaube, er war sich sicher, dass sie ihn nicht verletzte) er bezeichnet sich selbst als Einzelgänger und erzählte mehrmals, dass er Dinge erlebt hätte, die er noch nie jemanden anvertraut hätte und dies auch niemals tun würde. Ich glaube, auch zu seiner Frau hat er dieses Vertrauen im Laufe der Ehejahre nicht aufbringen können. Mir sagte er oft, dass ich viel zu viel Vertrauen hätte und noch kräftige Nackenschläge einstecken würde. (Er meinte damit eine Kollegin, die eifersüchtig auf mich wäre, weil er mich mögen würde und die ich in Schutz nahm, weil er keine gute Meinung von ihr hatte). Er meint, dass er die Menschen durch seinen Beruf rasant einschätzen könnte und bat mich vorsichtiger zu werden.
4.7 Ich vermute Herr W. ist ein sehr sensibler Mensch (feinfühlig)und rasch verletzbar.
Begründung:
Die Idee seiner Frau, dass er in sein eigenes Zimmer ziehen soll, hat ihn sehr mitgenommen. Er erzählte, dass er, wenn es ihm schlecht ging, immer Elisabeths Hand halten wolle, er war überzeugt, seine Frau würde nur an sich denken, ihr wäre es egal, was er fühlen würde. Die Argumente seiner Frau für diesen Wunsch nahm er gar nicht auf, ich hatte das Gefühl, er fühlte sich abgeschoben.
Auch die Geschichte mit der Altenpflegerin, die ihm sagte, dass sie nur die Arbeit leisten würde, die auch bezahlt, kränkte ihn sehr. Er fühlte sich dadurch wie ein Bettler und wollte im ersten Moment diese Zusammenarbeit beenden.
4.8 Ich vermute der Gedanke abhängig zu sein, ist für Herrn W. sehr unangenehm
Begründung:
Ich glaube, das folgt schon aus dem Punkt 4.5. weil er sich, wenn er abhängig ist, gleichzeitig ein wenig unterordnen müsste. Herr W. versuchte schon als Jugendlicher sich unabhängig zu machen, ich glaube, er wollte sich niemandem anvertrauen, damit er wieder Rechenschaft ablegen oder Dankbarkeit zeigen musste. Als freier Handelsvertreter war er zwar unabhängig was die Arbeitsweise und Zeit anging, aber er war immer noch abhängig von seinem Chef. Ich denke, die Selbstständigkeit ermöglichte ihm die größte Unabhängigkeit, denn dort war er sein eigener Chef. Seine Familie akzeptierte und unterstützte es, dass er so leben konnte, wie er es für richtig hielt. Er hatte die Freiheit zu arbeiten, wann er wollte, sich um seine Familie zu kümmern, wann er wollte und konnte meiner Meinung nach immer entscheiden, ob er etwas und wann und wie er das tun wollte.
4.9 Ich glaube Herr W. leidet darunter, dass die Beziehung zu seiner Frau anders geworden ist als früher
Begründung:
Ich vermute, als Herr W. noch im Arbeitsleben stand, hatte er das Gefühl, dass seine Frau ihn bewunderte, sie organisierte das Familienleben, versorgte Haushalt und Kinder und umsorgte ihren Mann. Wenn er einen Wunsch äußerte oder sie benötigte, war sie zur Stelle. Ihm fiel es nicht leicht, nach der langjährigen Berufstätigkeit nur noch zu Hause zu sein. Nach dem Oberschenkelhalsbruch entschied er, sich das Auto wegzugeben und hatte damit keine Möglichkeit mehr Ausflüge, Einkäufe oder Ähnliches zu machen. Ich denke, seine Frau bestätigte ihn nicht mehr so wie früher, sondern fing an, sich Gedanken über ihr Leben zu machen. Sie sagte ihm immer öfter, dass sie auch krank sei und nicht mehr könne. Das erweckt in mir den Eindruck, er meint, sie würde ihn persönlich nicht mehr akzeptieren. Es sieht für mich so aus als sehe er, nicht dass seine Frau auch krank ist. (Er sagte mir im Laufe eines Gespräches, dass sie sich sehr gehen lässt und sie einmal seine Schmerzen haben müsste, oder dass sie eine verdammt gute Schauspielerin sei, er würde sie schließlich kennen)
4.10 Ich vermute Herr W. wird durch eigene Aufgaben und Erfolgserlebnisse aufgebaut
Begründung:
Herr W. hat seine Kinder beauftragt, Anzeigen aufzusetzen, um einige seiner gesammelten Schätze zu verkaufen. Diesen Verkauf übernimmt er allein, ich denke, er ist nach Vollendung eines Verkaufs sehr gelöst und wirkt auf mich glücklich. Er selbst gibt an, dass ihm das ein Gefühl von Genugtuung gibt.
4.11 Herr W. will auf keinen Fall in ein Altenheim
Begründung:
Er hat einige Fernsehsendungen gesehen, wo über katastrophale Verhältnisse in den Altenheimen berichtet wurde, er ist überzeugt zu Hause besser aufgehoben zu sein als in einem Altenheim. Selbst wenn seine Frau ins Heim ginge, wollte er allein zu Hause bleiben.
5. Impulse für die weitere Arbeit werden entwickelt und begründet.
Impuls zu Punkt 4.3
Die Altenpfleger sollten bei Herrn W. auf eine gute Pflege achten. Wenn er sich schlecht fühlt und vielleicht immobiler wird, sollte der dringende Wunsch von ihm „Sauber, Tageskleidung, Rasur“, beachtet werden und gewährleistet sein. Wünsche bzgl. der Pflege sollten nach Möglichkeit berücksichtigt werden.
Begründung:
Herr W. legt sehr viel Wert auf Sauberkeit und gepflegtes Aussehen. Ich denke, er bezieht seine Sauberkeit und sein Aussehen auf seine Ausstrahlung zu seinen Mitmenschen, wenn aus Nichtbeachtung des Pflegepersonals diese für ihn wichtigen Kriterien nicht erfüllt werden, wäre Herr W. unzufrieden, und in seinem Selbstwertgefühl beeinträchtigt.
Impuls zu Punkt 4.5 und Punkt 4.8
Man sollte Herrn W. die größtmögliche Entscheidungsfreiheit lassen und nichts ohne seinen Willen entscheiden. Ich denke, es ist bedeutungsvoll für die Altenpfleger (auch andere) ihm immer das Gefühl zu geben allein entscheiden zu können. Man sollte ihn beraten und informieren, welche Möglichkeiten es gibt, wenn eine Veränderung ansteht und ihn fragen, was er möchte. Man kann ihm Ideen vermitteln und sollte ihm immer das Gefühl vermitteln, sein alleiniger Herr zu sein. Er sollte für die Altenpfleger einen gleichwertigen Partner darstellen, der ernst genommen wird. Dazu gehören vorrangig Respekt, den man ihm deutlich zeigt (z. B. zum Gruß/Abschied die Hand geben). Er sollte niemals das Gefühl bekommen abhängig zu sein, man sollte ihm seine Ressourcen und Fähigkeiten darlegen, indem man ihm aufzeigt, was er alles kann. (anhand von praktischen Arbeiten z. B. Basteln, sportliche Aktivitäten) Man sollte ihm auch neue Möglichkeiten eröffnen, indem man ihm die passenden Hilfsmittel aufzeigt, die ihm eine größtmögliche Selbstständigkeit bieten.
Begründung:
Ich glaube Herr W. ist kein Mensch, der sich unterordnen mag, er widersetzte sich in seinem Leben oft, wenn er sich unterordnen und im Sinne anderer handeln musste. Ich glaube, wenn man ihm die Entscheidungsfreiheit nimmt (auch nur in einzelnen Dingen) würde er sich bevormundet fühlen und hätte womöglich nicht die Möglichkeit, sich wie früher dagegen aufzulehnen. Ich denke, dadurch würde er vielleicht verschlossener und sich sehr unwohl fühlen. Dieser Punkt schließt den Punkt 4.8 mit ein, denn ich glaube, er suchte schon immer die Selbstständigkeit, damit er sich nicht unterordnen musste und abhängig machte.
Impuls zu Punkt 4.6
Ich glaube, dass es für Herrn W. gut wäre nicht ständig wechselndes Pflegepersonal zu haben, es wäre gut, wenn das Pflegepersonal, das für seine Pflege zuständig ist, ihn mögen würde und er auch Sympathie hegen würde. Seine Bezugspersonen (z. B. Pflegepersonal) sollten sehr offen mit ihm reden und versuchen eine gute Beziehung zu ihm aufzunehmen, z. B. Biografiegespräche weiterführen, Freizeitangebote, die seinen Bedürfnissen entsprechen anbieten. Ich glaube auch, dass man ihm gegenüber immer ehrlich sein muss, damit er Vertrauen aufbauen kann. Die Pflegekraft sollte ihn immer spüren lassen, dass sie ihn mag, auch wenn sie im Stress steht und viel Arbeit hat. Man sollte sehr viel mit ihm reden und auch kleine Anzeichen von Misstrauen (die der Pflegekraft auffallen) ansprechen. z. B. Warum denken sie ich spiele ihnen etwas vor usw.
Begründung:
Ich vermute, dass Herr W. anderen Menschen gegenüber sehr misstrauisch ist, man sollte diesen Punkt ernst nehmen. Ich glaube, nicht, dass er sein Misstrauen völlig ablegen wird, weil er lange Jahre so gelebt hat und er heute noch der Meinung ist, dass das der richtige Weg sei. Ich bin mir aber sicher, dass man auf diese Art das größtmögliche Vertrauen von Herrn W. bekommen kann. Vertrauen ist notwendig in der weiteren Zusammenarbeit, um ihn auch für neue Angebote empfänglich zu machen, die ihn am Anfang vielleicht als große Hürde erscheinen. Ich denke, wenn er merkt, dass da jemand ist, der ihn mag, ehrlich ist, und ihn als Partner ansieht, findet er keinen Grund das Misstrauen weiterzuführen und fängt langsam an es abzubauen.
Impuls zu Punkt 4.7
Man sollte viele Gespräche mit Herrn W. führen und wie in Punkt 4.6, ihn immer spüren lassen, dass man ihn mag. Äußerungen sollten vorher gut durchdacht und behutsam gemacht werden, damit sie ihn nicht verletzen. Ich denke, Pflegekräfte, die ihn nicht mögen, sollten nicht für die Pflege zuständig sein, da er das sicher spüren würde. Man sollte versuchen alles gut zu erklären, ihm immer wieder klarmachen welcher Grund für die gemachten Vorschläge, Ideen und Mitteilungen vorhanden ist. Besonders wenn es sich um persönliche (unangenehme) Dinge handelt, die er auch als „Angriff“ auf sich beziehen könnte. Wenn man ihm etwas Unangenehmes mitteilt, sollte man ihm den Grund nennen und evtl. erklären. Wenn man ihm etwas erklären muss, was er persönlich nehmen könnte, sollte man dafür etwas Zeit investieren, um auch die folgende Reaktion zu erkennen und ggf. darauf eingehen.
Begründung:
Herr W. ist meiner Meinung nach sehr sensibel (empfindlich). Durch die oben beschriebenen Impulse für die weitere Zusammenarbeit merkt er, dass die Pflegekraft es gut mit ihm meint. Durch die verständlich erklärten und behutsam aufgeführten Gründe der vielleicht negativen Änderung bekommt er nicht das Gefühl, dass man ihn damit angreift, weil man ihn nicht mag. Ich glaube, dass man dieses Ziel, für die zukünftige Arbeit mit ihm, sehr intensiv und gezielt angehen sollte, damit Missverständnisse gar nicht erst entstehen.
Impuls zu Punkt 4.11
Man sollte Herrn W. in Sachen Altenwohnungen, Altentagesstätten, betreutes Wohnen, Alten-WG und Tagespflegeeinrichtungen beraten. Damit er nicht nur das Altenheim oder seine Wohnung als alleinige Alternative sieht.(Prospekte) Man sollte ihm vorschlagen, einmal ein paar Altenheime zu besuchen, um sich ein wirkliches Bild von dieser Einrichtung zu machen. Auch die Besichtigung beim betreuten Wohnen würde ihm vielleicht eine andere Möglichkeit für den Alterswohnsitz anzeigen. Er sollte angeregt werden sich mit betroffenen alten Menschen in Altenheimen usw. zu unterhalten. Man könnte solche Besuche arrangieren und ihn bei anstehenden Fragen beraten.
Begründung:
Ich glaube, Herr W. hat durch die Berichterstattung im Fernsehen eine ziemlich einseitige Vorstellung von Altenheimen bekommen. Durch Besuche der jeweiligen Einrichtungen wäre er vor Ort und könnte sich informieren. Die Gespräche mit betroffenen alten Menschen würden ihm die Realitäten aufzeigen. Wenn er sich über andere Alteneinrichtungen noch nicht informiert hat, wäre es hilfreich auch diese Angebote zu erkunden. Auf diese Weise hat er eine gute Information und hätte einige Möglichkeiten mehr, sich zu orientieren. Ihm würde die Angst auch ein wenig genommen werden, da er gut aufgeklärt ist.
Impuls zu Punkt 4.10
Ich glaube, dass Herr W. sein Selbstwertgefühl durch Aufgaben, die er hat und für ihn sinnvolle Beschäftigung stark verbessert. Man sollte ihn anregen, einen Computer anzuschaffen, um selbst bei z. B. (bei Ebay) seine Sachen zu verkaufen oder Dinge zu ersteigern. Es wäre sinnvoll, wenn er eine Computereinführung von seinen Kindern oder einem Fachmann zu Hause erhält. Durch diesen Computer hätte er die Möglichkeit durch das Internet zu surfen und vielleicht verschiedene Firmen, die er in früheren Jahren beliefert hat auf deren Homepage zu besuchen und Neues zu erfahren (Weiterbildung). Da es auch einen Chat für ältere Menschen gibt, könnte er mit Gleichgesinnten aus der ganzen Welt sprechen.
Begründung:
Herr W. sitzt die meiste Zeit zu Hause und denkt darüber nach, was er alles nicht mehr kann. Ich glaube, er ist unzufrieden, weil er keine richtige Beschäftigung hat und sich etwas überflüssig fühlt.
Durch die Verkäufe seiner gesammelten Werke erfährt er Bestätigung (er kann immer noch häufig verkaufen, hat schon wieder ein Schnäppchen gemacht) genau so ein Gefühl kann er aber auch bekommen, wenn er Schnäppchen kaufen würde. Da er mit dem Computer praktisch alles erfahren kann, ist er wieder beschäftigt. Wird zum Denken angeregt und bringt wieder frischen Wind in sein Leben. (und das von seiner Frau, er hat wieder etwas zu erzählen, was nicht nur mit Krankheiten zu tun hat), da er den Umgang mit dem Computer erlernen muss, ist er wieder gefordert. Er hat die Möglichkeit, wieder unabhängig zu tun, was er will. Der Umgang mit dem Computer kann jederzeit auf sein Krankheitsbefinden eingestellt werden, da er sich in der Wohnung befindet und je nach Bedarf und Befinden genutzt werden kann. Zusätzlich würde er in der Konzentration gefördert, da er sich erst sehr viel aneignen muss und dann viel im Internet erleben kann und meiner Meinung nach auch sehr viel nachdenken wird.
Impuls zu Punkt 4.9
Man könnte versuchen, den Eheleuten gemeinsame Gespräche anzubieten und in diese Gesprächsrunden kleine Themen einzubinden, die das Leben, die Wünsche, die Abneigungen des Einzelnen ansprechen. Danach müsste darüber gesprochen werden, wie man einige Dinge, die beide sehr belasten, verändern könnte. Dabei sollte man darauf achten, dass man behutsam mit diesen Themen umgeht, um keinen der beiden zu verletzen. Ich würde mich erkundigen, ob es Eheberatungsgespräche speziell für alte Menschen gibt und Anregung geben diese in Anspruch zu nehmen. Auch hier wäre ein Computer sehr hilfreich, weil er neue Anregung und Gesprächsstoff bietet. Durch Besuche einer Altenbegegnungsstätte und Gespräche mit Gleichgesinnten würden beide neue Anregungen bekommen, die sie vielleicht auch in ihrem Alltag anwenden können.
Begründung:
Ich glaube Herr W. leidet unter der derzeitigen Situation, Frau W. ist gesundheitlich auch nicht mehr in der Lage so wie früher zu arbeiten und leidet meiner Meinung nach eigentlich genauso. Mir erscheint, dass die beiden nicht das sagen, was sie wirklich bewegt, Herr W. äußerte die Vermutung, dass seine Frau gut schauspielern könnte. Bei den Gesprächsrunden würde man die Themen konkret ansprechen und sich damit auseinandersetzen. Herr W. würde genau erfahren, wie seine Frau sich fühlt und ihre Abwehr nicht mehr persönlich nehmen, weil sie offen über ihre Bedürfnisse gesprochen haben. Über den Computer könnte Herr W. sich über die Krankheiten seiner Frau informieren. Mit diesem neuen Wissen könnte er dann anders umgehen und das Ehepaar könnte sich auf einer neuen, gemeinsamen Ebene, über die Problemlösung unterhalten. (evtl. mithilfe der Beratungsstelle)
6. Reflexion des Arbeitsprozesses.
6.1 Wie war die Arbeit für Herrn W.
Herr W. war am Anfang, trotz meiner Bemühungen eine gemütliche, ruhige Atmosphäre zu schaffen, sehr konzentriert und war bestrebt die Biografie in möglichst kleine und genau detaillierte Sätze zu packen. Er wirkte sehr verkrampft und antwortete auf meine Gegenfragen sehr knapp und distanziert. Er las von seinem vorbereiteten Zettel ab, bis er zur Soldatenausbildung in Lemgo gekommen war. Von da an erzählte er frei und ungezwungener. Meine Zwischenfragen, wenn ich nicht mit dem Schreiben mitkam oder noch Fragen zur Sache hatte, beantwortete er nun auch ausführlicher. Während er eine Sache erzählte, kam ihm schon die Nächste in den Sinn. Wie schon erwähnt, hatte ich große Schwierigkeiten ihn zu überreden, erst einmal Schluss zu machen und beim nächsten Mal weiterzumachen.
Später erzählte er mir, er wäre sehr aufgeregt gewesen, weil er nicht wusste, wie das werden würde. Er sagte bei manchen Dingen waren die früher erlebten Sachen so nah als wenn sie gestern stattgefunden hätten, er hätte bei manchen Dingen sogar gefühlt als ob es noch ganz frisch war. An seiner Mimik konnte man hervorragend ablesen, wie er sich fühlte, manchmal lächelte er oder presste die Lippen aufeinander und sah sehr traurig aus. Es gab Stellen, an denen er laut lachte und dann auch wieder ein verschmitztes Lachen zeigte.
Er ist genauso wie ich der Meinung, dass durch die regelmäßigen Gespräche und die Pflege eine sehr familiäre Stimmung herrschte und fast nicht mehr merkte, dass ich eine Biografie über ihn schreiben wollte. Herr W. erzählte, wenn er von sich aus anfing, immer über die Kriegsjahre, er fiel immer wieder in diese Zeit zurück. Dabei regte er sich oft so auf, dass wir unser Gespräch schon nach 20 Minuten beenden mussten, weil er einen hohen Blutdruck bekam und nach Luft schnappte. Ich hatte den Eindruck, dass ihn die Fragen nach dem ganzen Leben, nicht so belasteten wie die Kriegsjahre. (bei diesen Gesprächen ging auch der Kreislauf in die Höhe) er sagte, dass er am Tag oft über seine Biografie nachgedacht und viele Diskussionen mit seiner Frau geführt habe. Er erzählte weiter, dass ihm die Biografiearbeit sehr viel Spaß gemacht habe und er deshalb oft in alten Unterlagen gesucht hätte, um noch Ideen zu finden.
Über seine Berufstätigkeit erzählte er mir sehr viel, ohne dass ich besonders ausführlich nachfragen musste. Er erkundigte sich sogar bei mir, ob ich alles notiert hätte. Bei meinen Fragen und über seinen Umgang mit der Familie erzählte er mit vielen Lücken, ich hatte auch den Eindruck, dass ihm das nicht so wichtig erschien. Er deutete an, dass er seinen Vater nicht ohne Grund ablehnte, leider erst in den letzten Tagen, sodass ich nicht mehr näher darauf eingehen konnte.
Da oft auch Frau W. bei unseren Gesprächen dabei war, gab sie ihrem Mann einige Anregungen, was sonst noch passiert war. Manchmal hatte sie das anders im Kopf als er, sodass es zu kleineren Konflikten führte. Einmal sagte Herr W. „Warst du dabei oder ich“ oder „Ist das deine Geschichte oder meine“ Unsere Zusammenarbeit hat uns in diesen Wochen sehr nah zusammengeführt. Herr W. wusste zwar permanent, dass ich nur 10 Wochen da sein würde, aber ich denke, er hat das einfach verdrängt, obwohl ich ihm oft gesagt habe ich wäre eine Schülerin und nur kurze Zeit da. Als ich ihm an meinem letzten Tag gesagt habe, dass von nun an jemand anderes zur Pflege kommt, war er tieftraurig und wollte mich überreden, weiter arbeiten zu gehen, da ich doch eigentlich schon alles kann. Meine Anleitung berichtete mir später, er würde sehr darunter leiden, dass ich nicht mehr käme. Sie war überzeugt, dass er sich während dieser Wochen sehr auf mich fixiert hat und dass der Umgang mit ihm sehr zurzeit etwas schwierig ist.
6.2 Wie war die gemeinsame Arbeit für mich
Am ersten Tag der Biografiearbeit war ich etwas aufgeregt und nicht so locker, wie ich gern gewesen wäre. Ich hatte mit den zwei Stunden gerechnet und überhaupt nicht bedacht, dass da etwas zwischen kommen könnte. Die Lebensgeschichte von Herrn W. fand ich sehr interessant, stellte aber im Laufe der Gespräche fest, dass sie mich viel mehr bewegten als bei dem ersten Gespräch. Ich hatte Herrn W. ausgewählt, weil ich ihn etwas faszinierend fand und mich wirklich interessierte, wie er sein Leben verbracht hatte. Ich denke durch diese Gespräche hatte ich dann das Gefühl, dass ich ihn schon viel länger als die paar Wochen kennen würde. Mir kam es vor als ob ich an seiner Mimik, und an den Bewegungen beim Erzählen ahnte, was er dabei fühlte. Ich musste meine Fragen oder die richtigen Worte nicht mehr suchen, sondern plauderte ganz zwanglos mit ihm. Dadurch hatte ich aber beim Schreiben oft Schwierigkeiten, die Sachlichkeit zu erhalten und nicht bewertend zu werden. Mir ist aufgefallen, dass die anfänglichen Gespräche nicht so viel Persönliches beinhalteten, erst im Laufe der Zeit, wurden viel persönlichere Dinge angesprochen.
Da Frau W. regelmäßig an unseren Gesprächen beteiligt war. Erzählte sie auch einige Dinge, schwierig war es immer, wenn ich ihr klarmachen musste, dass ich eine Biografie für ihren Mann schreiben würde. Und da auch nur seine Meinung und Erzählungen hineingehörten, oder ihre Meinungen, als ihre Meinung extra aufgeführt sein müsste, weil sie nicht die Meinung ihres Mannes vertreten würde. Ich denke Frau W. hatte auch etwas davon, weil sie ihren Mann oft an Dinge erinnerte und dadurch auch einzelne Stationen ihres Lebens mit durchlief. Meiner Meinung nach ist die Biografie eine Bereicherung für die Altenpflegerin und den alten Menschen. Ich habe festgestellt, dass ich ihn viel besser kennenlernen konnte als einen anderen alten Menschen während der Praxiseinsätze. Über die Biografiearbeit entwickelt sich zwischen dem alten Menschen und der Altenpflegerin eine sehr enge Beziehung.
Ich denke nur, dass Herr W. sich etwas zu sehr an mich gebunden hat und die Arbeit mit mir zwar eine Bereicherung für ihn war, aber am Ende auch mit Enttäuschung verbunden war. Wie schon in der Auswertung beschrieben ist, glaube ich, dass Herr W. ein sehr misstrauischer Mensch ist, ich hatte aber das Gefühl, dass er mir bereits sehr vertraute. Ich hatte montags Frühdienst, nachdem er am Wochenende diese Auseinandersetzung mit der Kollegin hatte. Das Ehepaar, (besonders Herr W.)waren sehr aufgelöst. Nachdem ich dann ein paar Mal gefragt hatte, erzählte er mir, was die Kollegin ihm gesagt hatte.
Er fühlte sich absolut schlecht und gekränkt, bat mich aber nichts zu erzählen. Da er sich jedoch nicht von meinen Erklärungen, warum die Kollegin vielleicht so reagiert hatte, beruhigen ließ, hielt ich es für meine Pflicht, das weiterzugeben. Herr W. hatte sogar in Erwägung gezogen, sich von den Pflegediensten zu trennen. Da meine Anleitung in Urlaub war und der Pflegedienstleiter mein Ansprechpartner war, bat ich ihn, doch einmal mit Herrn W. zu reden. Als ich am nächsten Morgen zur Pflege kam, sah Herr W. mich ganz komisch an und meinte nur, er würde mir nichts mehr erzählen. Es hat einige Tage gedauert, ehe er verstanden hat, warum ich das gesagt habe. Während dieser Zeit war er recht kurz angebunden, bot mir keinen Kaffee mehr an und wollte auch nicht über die Biografie sprechen. Danach hat er dann auch wieder ganz normal mit mir geredet, sagte nur einmal, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn ich meinen Mund gehalten hätte.
Mir kam es so vor als sei diese Beziehung nun noch enger geworden wäre als vorher. Wenn ich eine Altenpflegerin bei den Pflegediensten gewesen wäre und weiter mit ihm gearbeitet hätte, wäre diese Biografie mit Herrn W. tatsächlich nur eine Bereicherung für ihn gewesen und auch für mich als Altenpflegerin. So hat er aber zusätzlich noch eine bittere Erfahrung machen müssen, die mir sehr leidtut, weil ich das nicht so abgeschätzt habe. Ich glaube, dass Schülerinnen nicht mit jedem Menschen eine Biografie schreiben sollten, da bei einer so zeitaufwendigen und sehr intimen Arbeit, Gefühle bei den alten Menschen aufkommen können, die sie beim Abschied zusätzlich zu ihren Problemen, belasten.
7. Anmerkungen:
4 Herr W. benutzte nicht den Ausdruck Vorlagen,
diesen fügte ich zum besseren Verständnis selbstständig ein