Biografie von Frau Ilse D.
Frau D. wurde am 10. Juni 1922 als erstes Kind ihrer Eltern, Marie und Willi, in Oldau, über eine Bäckerei geboren. Ihre Eltern waren zu diesem Zeitpunkt genau 2 Jahre verheiratet. Mit 6 Wochen wurde Frau D. in Winsen getauft. Elf Jahre später im Jahre 1933 erblickte ihre Schwester Hanna das Licht der Welt und somit war die Familie komplett. Die Familie war evangelisch-lutherisch und gläubig – ganz normale Kirchengänger, wie mir Frau D berichtete. Ihr Vater, geboren 1883, arbeitet als Maschinist im Wasserwerk von Ovelgönne. Nach dem 1. Weltkrieg war ihr Vater kriegsinvalide, durch den Verlust eines Armes und konnte seine alte Stelle nicht antreten. Er wurde nach Celle in die Stadtwerke versetzt. Ihre Mutter, geboren 1889, arbeitet ab dem 10. Lebensjahr als Kindermädchen und nach der Geburt von Ilse, wurde sie Hausfrau und Mutter.
Frau D. hat hervorragende Erinnerungen an Ihre Kindheit, es gab keine schlechten Erlebnisse. Ihre Eltern waren streng, aber immer gerecht und Frau D. wurde nie gestraft. Sie wuchs im eigenen Haus mit Garten, in Oldau, auf und besaßen Land. Kartoffeln und Korn wurde darauf angebaut, Wiesen verpachtetet und sie hatten Schweine und Ziegen.
1929 wurde Frau D. mit 7 Jahren eingeschult. Sie wurde ein Jahr zurückgestuft, da sie das Gewicht und vor allem die Größe nicht erreichte, die vorgegeben war. Sie hatte eine große Schultüte, woran sie sich nur vage erinnert. Eher fällt ihr ein, dass die Volksschule um 8 Uhr begann und dass sie immer Milch trinken durfte, was die Seltenheit in der Klasse war, weil es sich viele nicht leisten konnten. Die einzige Pflicht vor der Schule war das Frühstück, ohne Frühstück durfte sie das Haus nicht verlassen. Nach der Schule mussten nur die Schulaufgaben erledigt werden und dann hatte Frau D. Freizeit. Der Schulweg war kurz, ca. 5 min vom Haus entfernt, was sehr vorteilhaft war, wenn sie ihr Schulbrot vergaß. Sie lief dann in der Pause nach Hause und holte sich ihr Brot. Sie trug immer Schuhe und musste nie barfuß laufen, was sie heute auch noch nicht gerne mag.
Es war eine kleine Schule mit vier Klassen. In der 1. und 2. Klasse wurde zwei bis drei Stunden und in der 3. und 4. Klasse vier bis fünf Stunden unterrichtet. Die Lehrer waren sehr streng, was Frau D. in der ersten Klasse gleich zu spüren bekam. Sie mussten auf ihren Tafeln schreiben, was Frau D. nicht so recht gelang und der Lehrer schlug darauf hin ihre Tafel kaputt. Seit diesem Zeitpunkt hatte, Frau D. großen Respekt vor den Lehrern und es wurden auch keine Streiche ausgeheckt. Obwohl es nur eine kleine Schule war, berichtet Frau D, musste genau so viel gelernt werden, wie in einer großen, denn der Stundenplan musste erfüllt werden. Es wurden viele Bücher gelesen und lange Gedichte auswendig gelernt. In der Schule wurde auch das Thema „Aufklärung“ besprochen, erzählte Frau D., was ein heikles Thema zu der Zeit war, denn es wurde nicht um den heißen Brei herumgeredet, also keine Erzählungen von Bienchen und Blümchen.
So erlebte Frau D., zu dem Zeitpunkt 10/11. jahrealt, die Schwangerschaft der Mutter sehr intensiv mit. Am 18. November 1933 kam dann ihre Schwester Hanna, durch eine Hausgeburt, was in der Zeit üblich war, auf die Welt. Sie freute sich sehr über ihre Schwester und nahm sie auch überall mit hin, wenn es ihre Eltern erlaubten. So erzählt sie mir folgende Anekdote: als sie ca. 12 Jahre alt war, wollte sie mit Freunden baden gehen, ihre Eltern erlaubten es, aber nur wenn sie ihre Schwester im Wagen mitnahm. Also machte sie sich mit dem Kinderwagen auf den Weg. Am See angekommen, stellte sie den Wagen an ein schattiges Plätzchen unter dem Baum und ging mit den Freundinnen schwimmen. Sie tobten und spielten. Als sie sich nach einiger Zeit wieder auf dem Heimweg machen wollten, packte jeder seine Sachen. Frau D. war als Erstes fertig und zog schon in Richtung Heimat, als jemand von hinten rief: „Ilse, nimm deine Schwester mit!“. Frau D. lacht und sagte zu mir: „Da hätte ich doch glatt meine Schwester stehen gelassen“.
Als das Schuljahr rum war, wurde Frau D. immer gefragt, ob sie ihre alten Bücher verkaufen möchte. Es sprach sich herum, dass Frau D. sehr ordentlich war und nie Segelohren in ihren Büchern hatte.
Die Ferien verbrachte Frau D. zu Hause oder bei der Verwandtschaft, da der Vater keinen Urlaub bekam. Es gab Sommer-, Herbst- und Winterferien. Frau D. hatte oft Besuch von ihrem Cousin und Cousinen bekommen oder fuhr zu ihnen. 1935 sollte Frau D. ihre Sommerferien bei der Tante verbringen. Vor der Abfahrt unterhielten sich ihre Mutter und die Tante miteinander. Die Tante erzählte, dass sie Frau D. nicht das bieten kann, was sie gewohnt ist, z. B. jeden Tag gute Butter, da sie neu neun Kinder zu versorgen hat. Die Mutter sagte: „Es sei kein Problem, denn Ilse mäkelt nicht und isst, was auf dem Tisch kommt.“ So war es dann auch, eines Tages gab es Eierkuchen, die schon anders schmeckten als zu Hause, aber sie aß, ohne sich zu beschweren.
Frau D. liebte es auf Bäume zu klettern und in der Klasse wurde sie immer verwechselt mit einer Klassenkameradin, namens Else. Else war ihre beste Freundin und ihr Vater war Schlachter. Frau D. war oft bei ihnen und so nannte sie Elses Eltern mit der Zeit Tante und Onkel. Es wurde zu ihrer Leidenschaft, Elses Vater beim Schlachten der Schweine zuzusehen.
Frau D. erzählt mir, dass sie eine sonnige Kindheit hatte. Sie war sehr eigen, aber nie beleidigt und hat nie etwas angestellt oder jemanden einen Streich gespielt. Jetzt zum Zeitpunkt des Gespräches erzählt sie, dass sie ihren Vater wohl keinen Ärger verursachen wollte, da er nur einen Arm hatte, aber das wurde ihr erst später bewusst.
Ihr Hobby war die Handarbeit, die sie von einer alten Dame lernte. Sie häkelte, strickte, machte Locharbeiten und lernte tunesisch häkeln. Zu Hause wollten sich die Geschwister immer übertrumpfen, es wurden regelrecht Wettbewerbe im Häkeln veranstaltet. In der Schule entwarf sie mit ihrer Freundin Muster.
1937 wurde Frau D. konfirmiert. Die Konfirmation fand in Schwarmstedt statt, sie trug ein langes schwarzes Kleid, worauf sie sehr stolz war. Die Paten und viele Verwandte kamen, um zu gratulieren, es war eine große Feier. Im selben Jahr verließ Frau D.’s nach 8 Jahren die Volksschule und trat dem Kirchenchor in Ovelgönne bei. Sie liebte das Singen von ganzem Herzen und sang in dem Chor 17 Jahre lang.
1938 war ein Jahr, indem sich für Frau D. viel ereignete. Sie begann das Jahr mit einem sogenannten Pflichtjahr, das ein halbes Jahr lang dauerte. Sie kam auf einen Bauernhof, wo sie auch übernachtete. Da Frau D. zu Hause keine Hausarbeiten verrichten musste, war das halbe Jahr besonders schwer für sie. Sie lernte Haus- und Stall arbeiten, wie Kühe melken, den Stall ausmisten, im Haus putzen und kochen. Die Wochenenden konnte sie zu Hause verbringen.
Als Frau D. 16 Jahre alt war, begegnete sie ihrer ersten großen Liebe, namens Walter, es war Liebe auf den ersten Blick. Sie war mit ihren Verwandten im Theater in Celle, mit anschließendem Tanz. Frau D. liebäugelte mit einem jungen Mann und er mit ihr. Nach einer Weile kam der junge Mann auf sie zu und bat sie um den Tanz, da kam Frau D. Onkel und sagte, dass sie nach Hause gehen wollen. Frau D. lächelte und erzählte mir: Walter dachte nur „Man hat die aber strenge Eltern!“. Sie konnte ihm noch schnell ihre Adresse mitteilen und in den folgenden Tagen trafen sie sich heimlich, bis Frau D. freiwillig für ein halbes Jahr in den Arbeitsdienst ging, es war Winter 1938.
Frau D. durfte sogar einen Wunsch äußern, in welches Lager sie möchte, also in welche Stadt. Sie bat darum so weit wie möglich von zu Hause wegzukommen, ihr Wunsch war es in der Nähe der Ostsee, die Entfernung war in Ordnung für sie. Dieser Wunsch war aber nicht machbar, da dort kein Zug mehr hinfuhr. Man schlug Frau D. vor, nach Stolp (in der Nähe von Lauenburg) in Hinterpommern zu gehen. Sie stimmte dem zu, denn Frau D. hoffte insgeheim, dass, umso weiter sie weg war von zu Hause, dass das Heimweh nicht aufkam, da sie sehr darunter litt. Und so war es dann auch, Frau D. hatte genau einen Tag Heimweh und die Leiterin erlaubte ihr im Zimmer zu bleiben. Frau D. weinte viel und wollte an diesem Tag nichts essen. Das Lager war ein großer Platz mit vielen verschiedenen Baracken zum Schlafen, zum Waschen und Toiletten, es war ein reines Mädchenlager. Es gab keinen Zaun, aber ein großes, massives Eingangstor aus Holzbohlen. Die Leiterin war korrekt und auch nett, nach Frau D. Erzählung, aber es wurde bei ihr auch keiner verschont. Frau D. wurde für den Außendienst eingeteilt, das hieß, dass sie eine Stelle zugewiesen bekam, wo sie mit dem Fahrrad vom Lager aus hinfahren musste und abends wieder zurück.
Im Arbeitslager bekam Frau D. jeden Tag morgens Müsli, denn das konnte man schnell zubereiten. Die Außenstellen wurden alle 3–4 Wochen gewechselt, Frau D. kam immer wieder in eine neue Familie, um auf die Kinder aufzupassen, zu kochen, zu putzen oder im Stahl oder auf dem Feld zu helfen. Die Gruppen in den Baracken wurden alle 2 Wochen gewechselt, sodass keine klicken Wirtschaft entstand. Frau D. denkt gerne an die Zeit zurück, es war anstrengend, aber auch schön. So erzählt sie mir folgende Anekdoten: Sie musste bei einer Familie arbeiten, die ein kleines Kind hatten. Das Baby hatte die Windeln voll, die Mutter wechselte sie und warf, die benutze Windel auf dem Boden und sagte zu Frau D. sie solle den Boden säubern, denn dazu wäre sie ja hier. Der Hausherr bekam das Geschehen mit und setzte sich für Frau D. ein, sodass die Mutter die volle Windel selbst wegräumte.
Wiederum in einer anderen Arbeitsstelle erhielt Frau D. nach Beendigung ihrer Arbeit in dieser Außenstelle, ein Paket mit Wurst, Brot und Schinken. Als sie im Lager ankam, traf sie auf die Leiterin, der Frau D. gleich alles berichtet und nach Rat fragte, da man ins Lager nicht solche Maßen mit reinnehmen durfte. Die Leiterin hielt daraufhin alle anderen Frauen an, die ins Lager kamen und jeder bekam ein kleines Wurstpaket, so hatte mehr oder weniger jeder von dem Geschenk was. Die Leiterin sagte zu Frau D.: „Na sie müssen ja ein Stein bei der Frau F. im Herzen gehabt haben, denn mit Geschenken ist aus diesem Arbeitsdienst noch niemand herausgekommen“. Frau D. fühlte sich geschmeichelt.
Sie erhielt im Lager auch Besuch von ihrem Freund Walter. Frau D. war bei der Gartenarbeit, als ihr Hausherr fragte, ob sie den jungen Mann am Eingang kennen würde. Sie bejahte die Frage und sagte: „Ich schicke ihn wieder weg und mache meine Arbeit zu Ende“, der Hausherr aber meinte, sie solle für heute Feierabend machen und sich einen schönen Nachmittag mit ihrem Freund machen, was sie dann auch taten. Das Jahr endete und daher der Arbeitsdienst. Zu Silvester lud die Leiterin Soldaten ins Lager ein, damit die Frauen feiern und tanzen konnten. Frau D. erzählte mir, dass man im Lager ein Fotoalbum kaufen konnte, das den Titel trug: „Meine Dienstzeit“, was sie mir darauf hin auch zeigte.
Gerade zu Hause angekommen, verließ Frau D. es im Jahre 1939 wieder und begann ihre Lehre zur Fleischerei Verkäuferin bei ihrer Verwandtschaft in Celle. Sie wohnte die ganzen 3 Lehrjahre bei ihrem Lehrherrn. Es war die älteste Schwester von ihrem Vater und die Tante war sehr streng, der Onkel dagegen nicht. Frau D. bekam 15 Reichsmark im Monat und erhielt Kost und Loge frei, dadurch brachte sie ihr Geld immer gleich zur Kasse. Sie lernte alles über diesen Beruf, außer das schlachten, da schaute sie nur gelegentlich mal zu. Sie musste Blutwurst anrühren und roh probieren, genauso wie Leberwurst, obwohl ihr die Leberwurst eher zusagte. Sie liebte sie, aber nicht so wie man sie aus dem Laden kennt. Frau D. aß die Leberwurst gerne (im Naturgeschmack) warm, also bevor sie in den Darm kommt. Das wusste die Tante und so stellte sie Frau D. öfter mal frische Leberwurst mit Brot auf den Tisch. Blut rühren erlernte sie erst später. Zu den Aufgaben gehörte auch, die Wurst zu den Kunden nach Hause zu bringen. Für diese Aufgabe meldete sie sich immer freiwillig, weil sie sich so mit ihrem Walter heimlich treffen konnte. Die Fahrten waren in Celle oder gingen auch nach Witzenbruch oder Klein Hehlen.
Beim ersten Treffen, musste Walter sogar 3 Stunden auf Frau D. warten, sie glaubte schon gar nicht mehr daran, dass er noch warten würde, aber er stand an der verabredeten stelle. Aus dieser heimlichen Treff Aktion erzählt mir Frau D. auch eine lustige Anekdote: Sie traf sich wie immer mit Walter und wurde von Kunden gesehen, Frau D. sah natürlich keinen. Im Fleischerei-Geschäft kam dann diese Kundin und erzählte Frau D. Tante, dass sie Ilse mit ihrem Bruder gesehen hätte. Die Tante stutze: „Bruder?“, Frau D. hatte keinen Bruder. Und so flog erst einmal alles in der Fleischerei auf. Die Tante wollte keine Heimlichkeiten und so durfte Frau D. ihren Walter mitbringen. Mit 17 stellte Frau D. ihren mittlerweile 21-jährigen Freund bei den Eltern vor und somit war die Heimlichtuerei zu Ende. Im Sommer war ein Stadtfest gewesen, wo Frau D. mit Walter hinging, es waren viele Leute dort und so auch die Nachbarn der Eltern.
Die Nachbarn erzählten es den Eltern mit folgendem Satz: „Die sehen sich so ähnlich, die beiden bekommen sich!“. Frau D. lernte nun auch ihre Schwiegereltern kennen, die sie sehr mochte und nach einiger Zeit Mutti und Vati nannte. Walter hatte zwei Brüder und seine kleine Schwester ist mit 2 Jahren verstorben, Frau D. hatte immer das Gefühl, dass sie bei ihren Schwiegereltern, besonders der Schwiegermutter, diese Tochter ersetzte. 1939 wurde Walter in den Krieg eingezogen als Soldat, da er aber eine kaufmännische Lehre abgeschlossen hatte, bekam er einen Stuben-Platz. 1940 kauften sich die Eltern von Frau D. den ersten Fernseher, der aber nicht oft lief.
Der große Altersunterschied unter den Geschwistern war kein Problem, Hanna war froh eine große Schwester zu haben, erzählt mir Frau D., da sie so überall mit hin konnte. Frau D. empfand, dass Hanna noch mehr verwöhnt worden ist wie sie selbst, wo sie selbst auch einen kleinen Beitrag zu steuerte, denn immer, wenn die Mutter der kleinen Hanna eine Aufgabe erteilte, sagte Frau D.: „das kann Hanna nicht, dazu ist sie zu klein“ und schon war sie davon befreit.
1942 beendete Frau D. ihre Lehrer und war nun eine Fleischerei Verkäuferin. Zu der Zeit wurden die Arbeiten zugewiesen und so musste Frau D. ins Bergwerk von Oldau. 1944, Walter war in Frankfurt am Main stationiert und wollte Urlaub einreichen, den er aber nur bekam, wenn er heiraten würde und so wurde die Hochzeit geplant. Am 19. Oktober 1944 gaben sich Walter und Frau D. das Ja-Wort in Winsen. Es war eine große Feier, jeder trug was bei, denn das Essen gab es nur auf Karten. Schon am nächsten Tag ging es für 3 Wochen in die Flitterwochen nach Lotsch in Polen. Das schönste war, so erzählte mir Frau D, dass es die ganzen 3 Wochen keinen Fliegeralarm gab und sie so die Zeit genießen konnten. Wieder zu Hause musste Herr D. nach Frankfurt zurück und Frau D. ging wieder zur Arbeit ins Bergwerk.
Nach der Hochzeit zogen Frau D. und ihr Mann, der noch im Krieg war, in eine gemeinsame Wohnung, das hieß im Haus der Eltern erhielten sie ein paar Zimmer. Sie hatten 1 Schlafzimmer, 1 Kinderzimmer und 1 Küche, die Möbel erhielten sie von der Verwandtschaft und der Schrank mit der Aussteuer, wechselte das Zimmer. Der Schrank war gefüllt mit Besteck, Wäsche, Bettzeug, Geschirrhandtüchern und Handtüchern, die sie heute noch benutzt. Sie bekam die Sachen von der Verwandtschaft, aber auch von Kunden aus der Fleischerei. Frau D. brauchte sich 1 Jahr lang keine Wäsche kaufen, soviel hatte sie geschenkt bekommen.
Als der Krieg zu Ende war, konnte Herr D. 1945 die Heimreise antreten. Aber nicht allein, wie mir Frau D. erzählte. Sie fuhr mit dem Zug nach Frankfurt und wollte ihren Walter persönlich nach Hause holen. So kam sie am Bahnhof an und fragte sich durch, bis sie vor der Kaserne stand. Am Eingang fragte sie nach ihrem Mann und eher sie eine Antwort bekam, sah sie ihren Mann auf der anderen Straßenseite stehen. Sie freute sich so und sagt zu mir: „Das schönste war ihn unverletzt zu sehen“. Daraufhin fuhren sie mit dem Zug zusammen nach Hause.
1947 wurde das Bergwerk geschlossen und Frau D. bekam eine Anstellung in einem Kindergarten, die Arbeit machte ihr sehr viel Spaß. Im selben Jahr wurde Frau D. (geplant) schwanger, mittlerweile waren sie 4 Jahre verheiratet. Es war rundherum eine schöne Schwangerschaft, als Frau D. zu Hause in den Wehen lag, machte sich Herr D. mit dem Fahrrad nach Winsen auf, um eine Hebamme zu holen. Sie kamen pünktlich zur Entbindung an und so wurde am 29. August 1948, an einem Sonntag, ihre Tochter Marlies mit 2500g geboren. Die Hebamme war nicht gerade begeistert, da Marlies so zierlich war, aber Frau D. meinte nur, die bekommen wir groß, warten sie mal ab, und so war es dann auch. Frau D. hatte so viel Muttermilch, dass sie sogar noch welche verkaufen konnte und 0,20 Pfennig dafür bekam. Die Muttermilch war sehr nahrhaft und die Tochter gedeihte prächtig. Frau D. war mit Begeisterung Hausfrau und Mutter. Und das einzige, was sie anders machen wollte, als ihre Eltern war, ihre Tochter muss im Haushalt helfen, ohne Wenn und Aber. Denn es war schon schön verwöhnt zu werden, aber genauso schwer im Leben dann klarzukommen.
1952 nahm Frau D. wieder die Arbeit auf, und zwar in der Bäckerei, gegenüber ihrer Wohnung. Der Laden gehörte ihrem Onkel und sie arbeitete 17 Jahre bei ihm.
Als die Tochter 6 Jahre alt war, es war 1954, zog Familie D. in die erste eigene Wohnung und überließ das Elternhaus der Schwester. Frau D. hat mit ihrem Mann 10 Jahre lang Geld gespart, um sich die ersten eigenen Möbel zu kaufen, es war ein Kühlschrank, 2 Stühle, 1 Abwaschtisch und ein Eimer Schrank (es gab keine Wasserleitungen und im Eimer war immer Wasser drinnen). Eine Waschmaschine gab es nicht, die Wäsche wurde mit der Hand gewaschen und dafür war in dieser Familie der Mann zuständig. Herr D. kochte, wenn seine Frau ihm den Auftrag gab, die Wäsche aus. 1955 kam ihre Tochter Marlies zur Schule. Es war ein großer Tag für alle.
Das Jahr 1958 war kein schönes Jahr für Frau D., sie war zu dem Zeitpunkt 36 Jahre alt, als ihre Schwiegermutter starb. Es traf sie sehr, da sie ein sehr enges Verhältnis zu ihr hatte und es ihre erste Begegnung mit einem Toten war. Das Verhältnis zum Schwiegervater war nicht so stark. Sie vermisste ihre Schwiegermutter sehr und auch für ihren Mann war es nicht gerade einfach. Frau D. hat lange gebraucht, eher sie zurück ins Leben fand, es waren schwere Wochen für sie.
1969 hingegen war ein Glücksjahr. Herr D. spielte mit Leidenschaft an der Fernsehlotterie „Ein Platz an der Sonne“ mit und gewann somit in diesem Jahr ihr allererstes Auto. Es war ein VW Käfer, der gehegt und gepflegt wurde. Der Käfer leistete 5 Jahre lang gute Dienste, eher sie ihn wieder verkauften. Familie D. leistete sich alle 4 Jahre ein neues Auto, da sie viele Reisen unternahmen. Der Urlaub wurde immer gleich für 14 Tage oder 3 Wochen geplant und sie verbrachten ihn nie zu Hause. So verbrachten sie ihren Urlaub in folgenden Ländern: Österreich, Schweiz, Polen und natürlich auch Deutschland.
1970 nahm Frau D. die Arbeit in einem Handarbeitsladen als Verkäuferin auf, wo sie 5 Jahre arbeitete.
1973 war ein schönes Jahr, da Frau D. Großmutter wurde, sie bangten alle um das Leben der kleine Sonja, da sie viel zu früh mit nur 1700g auf die Welt kam. Sie machte sich aber prima und kämpfte sich durch Leben.
1974 nahmen sich Herr und Frau D. eine Wohnung in Celle. Es war eine 3-Zimmerwohnung, ruhige Lage, aber in Stadt nähe.
Da es ihr im Handarbeitsladen nicht mehr gefiel, wechselte sie 1975 zum Handarbeitsladen Grawunder in Celle, wo sie 10 Jahre lang blieb. Sie war die einzige Mitarbeiterin, die das tunesisch häkeln noch beherrschte, da sie es in der Kindheit gelernt hatte.
Frau D. größter Wunsch war es, dass kein Mädchen, also sie und ihre Schwester Hanna, und der Vater nicht vor der Mutter sterben. Ihr Wunsch wurde erhört, sagte sie mir, denn 1977, Frau D. war 55 Jahre alt, starb ihr Vater im Alter von 94 Jahren. Ihre Mutter starb 2 Jahre später mit 90 Jahren.
1985 erreichte Frau D. wieder eine traurige Nachricht. Ihre beste Freundin, die sie aus der Kindheit kannte, verstarb im Alter von 60 Jahren.
Mit 63 Jahren ging Frau D. in Rente, obwohl man sie gar nicht gehen lassen wollte. Es fiel ihr auch schwer, da ihr die Arbeit Spaß machte. Mit der Zeit gewöhnte sie sich an das Daheim sein und konnte so ihrem Hobby, der Handarbeit, nachgehen oder verbrachte die Zeit mit Ihrer Enkelin. Der Tagesablauf war geregelt, Frau D. ist morgens um 7.00 Uhr aufgestanden, um 8.00 Uhr gab es dann Frühstück, um 10.00 Uhr ging sie allein oder mit ihrem Mann spazieren und verband dieses gleich mit einem Einkauf. Das Mittagessen stand gegen 12.00 Uhr auf dem Tisch und danach legten sich die Eheleute hin. Nach der Mittagsruhe wurde die Zeitung gelesen, wobei Ihr Mann immer mit dem Sportteil anfing. Um halb vier wurde eine Tasse Kaffee getrunken, Frau D. bevorzugte Tee, da sie sonst nachts nicht schlafen konnte. Das Abendbrot wurde gegen 18.00 Uhr eingenommen und danach wurde zusammen ferngesehen. Mit 76 Jahren wird Frau D. Urgroßmutter eines kleinen Mädchens, namens Tabea. Sie freut sich sehr darüber und bringt Abwechslung in ihr Leben.
Im August 2003 hat Frau D. Pech und zieht sich eine Beckenfraktur, durch einen Sturz in der Wohnung zu. Sie wird ins Krankenhaus eingeliefert und operiert. Ihr Mann muss nun für die Zeit allein zu Hause zurechtkommen, aber er wird tatkräftig von der Tochter unterstützt. Frau D. wird wieder auf die Beine gebracht und kann zurück nach Hause, jetzt steht regelmäßig Krankengymnastik auf dem Programm. Sie lernt den Umgang mit dem Rollator.
Frau D. ist sehr darauf bedacht, dass sie sich ihre Selbstständigkeit erhält. Sie legt großen Wert auf Ordnung und Sauberkeit. Anfang 2004 sind weder sie selbst, noch ihr Mann in der Lage den Standard an Sauberkeit, den sie sich wünscht, zu halten. Es wird immer schwieriger, den Haushalt und Einkauf zu bewältigen. Die Tochter hilft so gut sie kann, ist aber berufstätig und kann nicht die Zeit aufbringen, die die Eheleute bräuchten.
Frau D. und ihr Mann bewältigen den Haushalt nicht mehr und so entscheiden sie mit der Tochter zusammen, dass sie in ein Pflegeheim ziehen. Am 19. April 2004 ist dann der Tag gekommen und die Eheleute ziehen ins Pflegeheim ein. Sie leben nun in einem Apartment. Das Apartment hat einen Wohn- und Schlafraum, ein kleiner Flur und Badezimmer.
Familie D. haben sich gut eingewöhnt, obwohl Herr D. einige Probleme mit dem Heimleben hat, was Frau D. leicht mitbelastet. Wenn es ihnen gut geht, setzt sie sich in den Rollstuhl und Walter geht mit ihr spazieren. Sie erhalten regelmäßig Besuch von der Tochter, die gleich gegenüber vom Heim arbeitet.
Der 19. Oktober 2004 war ein besonderer Tag für die Eheleute D., an diesem Tag feierten sie, mit ein paar Freunden und Verwandten, ihren 60. Hochzeitstag. Es wurde ausgelassen in der Cafeteria des Heimes gefeiert. Frau D. schwelgte in den Tagen davor und auch danach sehr in der Vergangenheit und erzählte viel über ihre schöne Zeit.
Laut Frau D. ihrer Aussage, hat sie immer an der Sonnenseite gelebt und die einzige Sorge, die sie hat, ist: „Was wird aus meinem Mann, wenn ich vor ihm gehen sollte?“.