Biografiearbeit
Kindheit und Jugend
Frau R geboren 17. April 19XX in Musterhausen als Einzelkind. Der Vater war von Beruf Bauleiter, Mutter Hausfrau. Die Eltern gaben ihr eine unbeschwerte, behütete und glückliche Kindheit. Sie hatte alles, was sie sich wünschte, die Eltern hatten nie Geldprobleme. Der Vater baute ein großes Haus mit normalem WC, eine Badewanne mit Kupferofen und einer Wasserpumpe im Keller. Damals hatte so, was niemand in der Umgebung.
Nach der Volksschule besuchte die Frau R 4 Jahre Gymnasium, dort nahm sie am Musikunterricht teil und musste Geige spielen, weil das ihre Eltern wollten. Aber sie war nicht musikalisch und hörte nach paar Jahren damit auf. In alle anderen Fächer war sie hervorragend, als der Zweite Weltkrieg anfing, musste sie die Schule abbrechen.
Wo sie 18 Jahre wurde (1943), besuchte der F R sie und Ihre Familie, er kam auf Beurlaubung aus der Wehrpflicht. Die waren früher Nachbarn, doch wegen Altersunterschied (ca. 6 Jahren) haben sie sich vorher nie getroffen und zeigten kein Interesse gegenüber. Doch dann war der ein Traummann für sie, viel Mädchen waren verliebt in ihn, doch er entwickelte Gefühle nur für sie. Nach paar Wochen musste er wieder zurück in den Krieg, die nächste Zeit war der Kontakt zwischen ihnen nur brieflich.
Zeitgeschichte
Der Vater wurde als Soldat 1940 eingezogen. Halbes Jahr vor Kriegsende, 1944 im September, kam die schreckliche Nachricht, der Vater sei im Einsatz in Russland gefallen. Nach Kapitulation 8. Mai 1945 begannen die Zeiten des Ungewissen und des Elends. Sie zusammen mit ihrer Mutter hatten Todesangst von russischen und tschechischen Soldaten.
Wertsachen wie Ring mit Diamanten, Silberbesteck und vieles anderes wurden aus Angst vom Ausrauben im Garten vergraben. Sie schliefen immer angezogen, ohne die Kleider abzulegen, immer bereit wegzulaufen, wenn die Truppen von Soldaten kommen sollten. In ihren Manteltaschen immer griffbereit hatten sie eine Schnur, um sich aufzuhängen oder Schere, damit man Pulsader aufschneiden kann. Die Angst von den Russen vergewaltigt oder gequält zu werden war einfach viel zu groß.
Doch dann kamen die Russen und Tschechen. Sie durchsuchten wie hungrige Wölfe das Haus auf der Suche nach Essen, Alkohol und natürlich Wertsachen. Sie fanden auch den vergrabenen Schmuck und Wertgegenstände im Garten und nahmen alles mit. Die sagten zu ihnen „Ihr habt nur 20 Minuten Zeit, um das Nötigste mitzunehmen und das Haus zu verlassen.“ So begann die Vertreibung von Sudetendeutschen.
Frau R, ihre Mutter und Großmutter wurden in die Zwangsarbeit in den südlichen Teil Tschechiens geschickt.
Getrennt von ihrer Mutter kam sie als Arbeiterin in eine tschechische Familie. Ihre Mutter war in einer anderen Familie im Nachbardorf, ca. 8 km entfernt, untergebracht. Als Tochter von reicher Familie wusste sie nichts von der Arbeit auf dem Bauernhof. Sie hatten kein Bett, sondern mussten in der Scheune auf einer Matratze, mit Läusen befallen schlafen. Sie hatten kein normales Essen. Die Familie hatte im Garten einen Apfelbaum mit wunderbaren reifen Äpfeln. Sie hatte einmal den Bauern gefragt, ob sie doch einen kleinen Apfel mal essen dürfe.
Als Antwort nahm er einen Apfel, bis hinein, warf ihn dann auf die Erde und urinierte darauf. Dann sagte er zu ihr: „Jetzt kannst du es essen.“ Man kann von Glück reden, dass diese Familie zwei Kinder hatte, ein Mädchen mit ca. 6 und einen Buben mit 5 Jahren. Frau R war schon immer eine kinderfreundliche Frau, die niemals Geschwister oder auch später leider keine Kinder hatte. Diese zwei hatten sie sehr ins Herz geschlossen und obwohl sie noch so klein waren schien es so als ob sie Mitleid mit ihr hatten. Sie besorgten für sie heimlich immer wieder mal ein Glas Milch oder ein übrig gebliebenes Stück Brot. Zweimal die Woche, wenn alle Arbeiten auf dem Bauernhof erledigt waren, machte sie sich auf den Weg in das Nachbardorf, um ihre schwache Mutter zu besuchen. Damals gab es keine Fahrmöglichkeiten, also ging sie die ganze Strecke zu Fuß, die Hände und Füße waren erfroren und schmerzten.
Nach einem Jahr wurde sie mit Mutter und Großmutter nach DDR – Thüringen umgesiedelt. Endlich war es mit Bauernarbeit vorbei, doch die Zeiten, wo viele Menschen hungerten, waren noch lange nicht vorbei. Sie bekamen zwar Fleischmarken, aber beim Umtauschen bekamen den grünen Salat. Aus dem wurde Suppe gekocht, der einfach geschmacklos war. Im Herbst, wo die Erntezeit vorbei war, mussten sie auf den Feldern gefrorene Kartoffeln sammeln. Nudeln, die man gelegentlich kaufen konnte, waren noch schlimmer als die Salatsuppe, diese waren braun und die Brühe nach dem Kochen schaute wie schmutziges Wasser aus.
1949 wurde F. R. aus russischer Gefangenschaft zurück nach Deutschland entlassen. Frau R machte sich große Sorgen, ob sie miteinander harmonieren werden nach so langer Zeit der Trennung, aber der Gedanke, dass die Heimatverbundenheit sehr groß war, hat sie immer wieder beruhigt. Doch dann wagte sie sich ein Mal „schwarz“ über die Grenze zwischen DDR und BRD zu gehen, gezielt um ihn dort zutreffen.
Nachdem er im Jahr 1951 eine Aufenthaltsgenehmigung für DDR bekommen hatte, machte er sich auf den Weg von Bayern nach Thüringen, um seine damals noch zukünftige Frau zu besuchen. Dort heirateten die beiden und er fuhr zurück nach Bayern, um eine Wohnung zu suchen. Ein halbes Jahr ist vergangen, bis er endlich ein Zimmer bekam, gleich danach kam die Frau R. zu ihm. Ihre Mutter blieb in Thüringen, um die Großmutter zu pflegen.
In *** bekam Frau R eine Arbeitsstelle als Verkäuferin, der Lohn war winzig, aber gelegentlich bekam sie Lebensmittel geschenkt, z. B. kleine Packung Pudding. Nach einiger Zeit wurde sie als Verkaufsleiterin eingestellt, dort verdiente sie sogar Zeit lang bisschen mehr als der Ehemann.
1965 bauten sie ein Haus in ***. Die Baustelle ging nur langsam voran, weil das Geld nicht immer gereicht hat. Bevor sie Baumaterial kauften, mussten sie ordentlich sparen.
1963 verstarb die Großmutter von Frau R in Thüringen. Danach zog die Mutter nach *** um. Frau M unterstützte ihre Tochter im Haushalt, sie half auch finanziell bei Hausbau.
Im Jahre 1974 kam die Ölkrise, das Beheizen mit Öl wurde immer teurer, deswegen bauten sie eine Elektroheizung ein.
1976 wurde ihre Mutter zu einem Pflegefall wegen Schlaganfall.
Sechs Jahre lang pflegte Frau R sie zu Hause. Das war nicht immer einfach gewesen, doch der Gedanke, die Mutter in ein Pflegeheim abzugeben, kam nie infrage.
Im Jahre 1981 starb die Frau M. Ein Ereignis, der sie fast am Boden zerstörte, sie liebte die Mutter von ganzem Herzen und hatte immer sehr enge Bindung zu ihr. Sie trauerte sehr lange danach, doch da war noch einer da, der sie benötigte „ihr Ehemann“.
Sie kümmerte sich um ihren ihm, um Haushalt und auch um sich selbst. Nach einer Weile rutschte sie wieder in den Alltag rein. Die Liebe und die schönsten Erinnerungen an ihre Mutter blieben für immer in ihrem Herzen.
Frau R war und ist immer noch eine sehr ordentliche und organisierte Hausfrau, es muss alles perfekt und nach Plan gehen, sie lässt sich nicht leicht durcheinander bringen. Auch das Aussehen spielte für sie schon immer große Rolle. Die Kleidung ist immer nach Farbe und Schnitt angepasst, aber eine besondere Vorliebe hatte sie schon immer für Ringe.
Im Jahr 1989 kam dann das größte Ereignis der Bundesrepublik, Deutschland war wieder vereint. Sie konnte wieder ihre Jugendfreunde aus der ehemaligen DDR besuchen, was sie immer mit Freude machte, da sie eine sehr offener, hilfsbereiter und liebevoller Mensch war und immer noch ist.
Die Zeit verging, sie und ihr Mann genossen die Rentenzeit. Da Herr R ein absoluter Naturliebhaber war, machten sie oft Ausflüge in die Berge. Doch durch die kleinen Wehwehchen machte das Alter sich immer mehr bemerkbar. Sie litt oft am hohen Blutdruck, des Weiteren wurden bei ihr auch Gallensteine entfernt.
Am 16. Mai 2010 veranstaltete sie eine Geburtstagsfeier für ihren Mann, mit zahlreich erschienen Gästen. Er wurde 90 Jahre alt. Im selben Winter, an einem kalten Januarabend geschah dann das Unfassbare, ihr geliebter Mann stürzte im Bad um und wurde ins Krankenhaus gebracht. Diagnose: Schlaganfall. Sieben Tage später verschloss er für immer die Augen. Sie war untröstlich und fühlte sich alleingelassen. Ein Teil ihrer Seele und ihres Lebens fehlte ihr auf einmal. Nach seiner Beerdigung besuchte sie jeden Tag sein Grab, bis die schlimmen Schmerzen im Rücken kamen. Ihr Doktor meinte, es käme alles von den Nerven und gab ihr immer wieder Beruhigungsmittel. Eines Tages waren die Schmerzen so unerträglich, dass sie den Krankenwagen rufen musste.
Nach der Computertomografie stellten die Ärzte altersbedingte Osteoporose fest. Einer ihrer Wirbel war angebrochen. Nach zehn Tagen wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen. Die ersten Tage zu Hause bekam sie regelmäßig Hilfe von Bekannten und Nachbarn, da sie nicht mal selbst sich die Füße waschen konnte.
Mittlerweile kommt sie relativ gut allein zu Recht, macht aber nur das Nötigste, weil ihr die Lust dazu fehlt.
Auf die Frage, was sie sich noch wünscht und welche Erwartungen sie hat, antwortete sie:
„Das Einzige, was sie sich noch wünscht, ist, dass sie eines Tages in Frieden einschlafen und nie wieder aufwachen würde.“