Autor/in: Nimue

Biografie einer Seniorin


Am 09.12.**** wurde meine Oma H. in Muster hausen in der Musterstraße geboren. Sie war eine Hausgeburt und das jüngste von sechs Geschwistern. Eins ihrer Geschwister ist mit 9 Monaten gestorben, aber H. kann sich nicht mehr erinnern woran. Sie waren 4 Jungs und 3 Mädchen, die sich das Haus mit den Eltern und der Oma teilten. 1937 ist ihre Oma nach Amerika gefahren, doch als der Krieg ausbrach konnte sie nicht wieder zurück nach Deutschland und hat so ihren Lebensabend in Amerika verbracht. Zu Lebzeiten versuchte sie allerdings so oft es ging Pakete aus Amerika zuschicken, die H. dann in Bremen abholen musste. Das waren sehr abenteuerliche Ausflüge nach Bremen, da sie sich dort kaum auskannte und alles zu Fuß bewältigen musste. Aber sie hat immer wieder Heim gefunden.

Ihre Mutter hat sich um den Haushalt und die Kinder gekümmert. Der Garten war auch Aufgabe der Mutter, da der Vater im 1. Weltkrieg ein Bein verloren hatte und so die schwere Gartenarbeit nicht mehr verrichten konnte. Aber bei so vielen Kindern war es selbstverständlich, dass sie im Haus und im Garten mitgeholfen haben. Die Mutter war zwar sehr streng, aber auch sehr liebevoll, sie hatte ihre Kinder nie geschlagen. Ihr Vater hat bis zum Kriegsanfang bei der Firma Leffers gearbeitet, doch durch den Krieg kam die Kündigung, weil er den evangelischen Glauben hatte und nicht – wie fast alle dort – der katholischen Kirche angehörte.


Als seine Zeit bei Leffers zu Ende war, hatte er im Fuhrpark als Lieferant gearbeitet. Doch schon bald gab es statt den kleinen Lieferwagen, große Lkws und die durfte ihr Vater nicht fahren, da er keinen Führerschein für diese Klasse besaß. Bis zu seiner Rente hatte er dann in einer Maschinenfabrik, bei Flügger, gearbeitet. Er war dort in der Werkzeugausgabe beschäftigt und hat dafür gesorgt, dass alle Mitarbeiter auch das richtige Werkzeug bekamen.

H. hatte anfangs eine sehr glückliche Kindheit. Sie hat mit ihren Geschwistern und den Nachbarskindern immer auf der Straße gespielt, egal ob Sommer oder Winter. Bei Spielen wie Jäger- oder Schlagball oder auch Völkerball hatte H. immer sehr gern mitgespielt. Sie erinnert sich, dass es damals auch noch vernünftige Jahreszeiten gab, im Sommer war das Wetter von Juni bis September wunderbar warm und schön und manchmal lag im Oktober schon der Schnee. Im Winter sind dann alle zum Schlittschuhlaufen gegangen, zugefrorene Teiche und Seen gab es damals überall.

Zu ihrem 4. Weihnachtsfest hatte H. einen Stick Kasten geschenkt bekommen. Von da an war sie im Sticken kaum zu halten. Als H. gerade mal 12 Jahre alt war, bekam sie Gelbsucht. In dieser Zeit hatte sie angefangen zu Stricken. Sie rubbelte alte Pullover auf und strickte daraus wieder neue. Ins Krankenhaus durfte H. damals nicht, ihre Mutter war dagegen aus Angst, sie könnte eins Kinder, verlieren, es war ja schließlich Krieg und sie wollte, dass wenn sie schon sterben müssen, dann alle zusammen sterben.

Als H. die Schule beendet hatte, musste sie ein Pflichtjahr bei einem Bauern in Hengsterholz absolvieren, zur Berufschule musste sie mit dem Fahrrad immer ganz nach Ganderkesee fahren. Damals ging der Krieg noch ein Jahr lang. Dieses Pflichtjahr war damals so üblich, alle Mädchen mussten beim Bauern arbeiten, die, die körperlich nicht so belastbar waren, sind in Großfamilien als Haushälterin tätig gewesen. Nach diesem Pflichtjahr hatte H. ihre Ausbildung bei Jensen als Verkäuferin gemacht. Sie war froh, als diese Ausbildung zu Ende war, da sie ihre Kolleginnen als Ziegen beschrieb. Sie wurde bei Nachtigall Lebensmittel eingestellt und musste damals in die Bremer Straße, um dort Pudding einzutüten.  Dort war sie allerdings auch nicht lange, denn sie wurde vom damaligen Stadtbaurat Braasch eingestellt, um sich dort um den Haushalt zu kümmern. Durch ein Ekzem an der Hand musste sie dort allerdings auch wieder aufhören zu arbeiten. Als H. dann 19 Jahre alt war, fing sie wieder bei dem Bauern in Hengsterholz an zu arbeiten. Seine Frau war schwanger und erwartete Zwillinge, so benötigte er dringend zwei helfende Hände, die ihn bei der Arbeit auf dem Hof und im Haushalt unterstützten. Dort lernte sie ihren ersten Freund kennen. Aus der Beziehung zu ihm wurde allerdings nichts Festeres, da er sich anscheinend auch für andere Mädchen interessierte und das fand H. gar nicht gut, also verpasste sie ihm den Laufpass.

In ihrer Freizeit hatte H. gern gestrickt, gehäkelt, gestickt und genäht. Abends ist sie oft zum Tanzen gegangen. Mittwochs fand immer der Kommunisten Ball statt, dort traf sich H. immer mit ihren Kollegen vom Schwimmverein, in dem sie auch sehr aktiv war. Am Samstag und Sonntag war immer normaler Tanzabend, selbstverständlich war H. auch hier immer anzutreffen. Falls sie mal nicht genug Geld hatte, um zum Tanzen zu gehen, hatte ihre Mutter ihr immer etwas zugesteckt. Sie wollte dem Spaß ihrer Tochter nicht im Wege stehen.

Kurz bevor H. 20 Jahre alt wurde, bekam sie Tuberkulose. Die Krankheit dauerte ca. 7ein Halbjahre. Zuerst war die Lunge betroffen, doch schon bald wurden die Lymphdrüsen auch angegriffen, wodurch sich Tumore im Bauch bildeten. Bis sie 27 Jahre alt wurde, verbrachte sie ihre Zeit ausschließlich in Krankenhäusern und Heilstätten. Als sie wieder zu Hause war, suchte sie erneut Arbeit. Das Arbeitsamt wollte sie wegen fehlender Genesung nicht vermitteln und so suchte sie sich selbst Arbeit als Büglerin in einer Wäscherei. Doch der Dampf, der automatisch beim Bügeln entsteht, tat H. nicht gut, sie ist immer wieder in Ohnmacht gefallen. 6 Wochen später fing sie bei Sport-Moden (neben Delmod) in der Näherei an.

Sie musste täglich mit dem Bus zur Arbeit fahren und lernte so den verheirateten Busfahrer K. W. kennen. Er flirtete regelmäßig mit ihr und machte ihr ständig den Hof. Als er sich von seiner Frau scheiden ließ, haben K. und H. 1960 geheiratet. Er war und ist ihre einzige große Liebe. Als die beiden 1 Jahr verheiratet waren, bekam H. eine Nieren-Tuberkulose.13 Wochen lang war sie dann am Tegernsee in einer Klinik. Als H. wieder gesund war, sind die beiden jedes Jahr nach Reinhardshagen im Harz in eine kleine Pension in den Urlaub gefahren. Da die beiden schon Stammgäste waren, haben sie sich mit den Besitzern der Pension hervorragend angefreundet. So kam es, dass wenn mal Not am Mann war, H. zum Arbeiten dorthin gefahren ist. Wohnen und Essen konnte sie in dieser Zeit dann immer umsonst.

Meine Großeltern haben keine Kinder mehr bekommen, doch mein Opa K. hatte zwei Töchter aus der ersten Ehe mitgebracht, meine Mutter und meine Tante. Die beiden waren aber schon junge Frauen und waren selbst kurz davor zu heiraten, sodass H. nur wenige Umstände mit den beiden Stieftöchter hatte.

1997 kam K. ins Krankenhaus, er sollte an der Hüfte operiert werden. Doch während der OP ist er gestorben. Für H. war das ein Schock! Sie war immer ein Mensch, der jemanden benötigte, den sie „umsorgen“ kann. So kam es, dass ihr Neffe über ihr ins Haus eingezogen ist. Er ist Lehrer an der Hauptschule und bekommt jeden Mittag nach der Schule sein Essen von H. Sie wäscht und bügelt auch für ihn. Da sie nicht mehr ganz so mobil ist, hat sie eine Reinigungskraft eingestellt, diese erledigt das Meiste im ganzen Haus, bei H. unten in der Wohnung und bei J. oben in der Wohnung. Den Lohn für die Reinigungskraft teilen sich die beiden. Außerdem beschäftigt H. auch einen Gärtner, der ist aber nur für das grobe zuständig wie Rasen mähen, Sträucher und Hecken schneiden. Den Rest wie Blumen anpflanzen oder umtopfen erledigt H. immer noch selbst. Erst diese Woche hat sie alle Äpfel vom Baum gepflückt, um daraus eine leckere Marmelade zu kochen.

Vor einigen Jahren hat sie wieder angefangen zu stricken und zu häkeln. Obwohl sie auf dem einen Auge fast blind ist und auf dem anderen nur noch 40 % Sehkraft hat, bemüht, sie sich vieles selbst zu erledigen. Sie hat sogar mit dem Nordic Walking angefangen, sie sagt, man muss sich jung und fit halten, sonst kommt das Alter viel zu schnell. In ihrer Lauf-Gruppe ist sie zwar die Älteste, aber das stört die anderen wenig, sie kommt gut mit und lernt die neuen Techniken oft schneller als die anderen.

Dieses Jahr ist sie das erste Mal in ihrem Leben mit dem Flugzeug geflogen. Es war ihr erster Auslandsurlaub, der sie in die Türkei führte. Es war ein wunderschönes Erlebnis, sagt sie, obwohl es dort sehr heiß war und sie dadurch Probleme mit ihrem Blutdruck bekam. Als sie wieder nach Hause kam, haben Nachbarn ihr eine Katze geschenkt. Minka hält sie den ganzen Tag über auf Trab.
Sie hat schon den nächsten Urlaub für 2006 gebucht, 10 Tage die Stadt der Liebe – Paris! Das soll aber ihr letzter Urlaub sein, sie sagt, man soll es auch nicht übertreiben, da man das Alter auch realistisch sehen muss und sie nicht weiß wie lang sie gesund und munter bleibt.

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