Autor/in: Sandokan

Einführung Psychologie Seite 3

Der klassische Test der quantifizierenden Methoden ist der Intelligenztest. Die Urform wurde um die Jahrhundertwende von den Franzosen BINET und SIMON entwickelt, da diese Forscher von dem französischen Erziehungsministerium den Auftrag erhielten herauszufinden, welche Kinder auf die Förderschule müssen und welche nicht. BINET und SIMON konzipierten zunächst kurze Testreihen von je 5 Fragen, die dem jeweiligen Alter der Kinder angemessen waren. D. h., es gab Fragen für dreijährige, für vierjährige, für fünfjährige Kinder etc.; wurden die Fragen der entsprechenden Altersstufe von dem Kind richtig beantwortet, hatte es das für diese Altersstufe entsprechende Intelligenzalter (IA). Kinder von 6 Jahren hatten also das IA von 6, falls sie alle Fragen dieser Testreihe richtig beantworten konnten.

Nun konnte leicht festgestellt werden, welche Kinder nicht die ihrer Gruppe entsprechenden Leistungen zeigten. Löste ein 5-Jähriger nur die Aufgaben für 4-Jährige, so wurde die Differenz zwischen dem Intelligenzalter und dem Lebensalter (LA) gebildet und es ergab sich der Wert von -1. Bei einem Wert von 0 waren die Kinder durchschnittlich, bei einem Wert über 0 überdurchschnittlich intelligent, denn sie konnten ja schwierigere Aufgaben lösen.


Jetzt ergab sich jedoch ein Problem: Ein Intelligenzdefizit von einem Jahr wurde z. B. auch gemessen, wenn ein 16-Jähriger das IA eines 15-Jährigen besaß. Jedoch ist, so lautete die Kritik, ein Entwicklungsrückstand von einem Jahr bei einem 5-Jährigen viel gravierender als bei einem 16-Jährigen, da Entwicklungsrückstände bei kleinen Kindern schwerer aufzuholen sind als bei Jugendlichen.

Man begann, um dem Rechnung zu tragen, das IA durch das LA zu dividieren und kam so auf den noch heute gebräuchlichen Intelligenzquotienten (IQ). Auf das obige Beispiel bezogen: Der IQ beträgt bei dem kleinen Kind: 4/5 = 0,8; bei dem Jugendlichen 15/16 = 0,94. Um die Kommata auszumerzen, wurde alles mit 100 multipliziert und man kam so auf den IQ von 80 einerseits und 94 andererseits. Die vollständige Formel für den IQ lautet also: IA/LA * 100 = IQ.

Nun waren da aber noch weitere Probleme zu lösen. Testreihen im großen Stil ergaben nämlich, dass die Intelligenz mit ca. 16 – 18 Jahren ihren höchsten Stand erreicht und dann – wenn auch langsam – wieder abfällt9. Das würde gleichzeitig bedeuten, dass jemand, der älter als 18 ist und durchschnittlich intelligent, trotzdem nicht auf einen IQ von 100 käme. Damit dieses Phänomen wieder ausgeglichen werden konnte, wurde der sog. Abweichungs-IQ gebildet. Er bedeutet, dass für jede Altersgruppe deren durchschnittliche Leistung neu ermittelt werden muss und anschließend gleich 100 gesetzt wird. Mit zunehmendem Alter werden die Durchschnittswerte immer geringer und gleichen so die Abweichungen wieder aus (Beispiel s. u.).

Der Standardtest für die allgemeine Intelligenz ist der sog. HAWIE (Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene). Dieser Test wurde von WECHSLER (amerikanischer Psychologe) entwickelt und im Jahre 1955 an der Hamburger Universität ins Deutsche übertragen. Er besteht aus 11 Untertests, die wiederum in zwei Bereiche eingeteilt werden können (, verbale‘ und, praktische‘ Intelligenz).

Im verbalen Teil finden sich vorwiegend Fragen, die sich auf das Schulwissen beziehen. („Wo liegt Ägypten?“ oder „Wer schrieb die, Göttliche Komödie?“), Fragen, die das „allgemeine Verständnis“ prüfen (Warum sollen wir nicht in schlechte Gesellschaft geraten?) oder das „rechnerische Denken“ (Ein Mann kauft für 8 Pfennige Briefmarken und gibt dem Postbeamten 25 Pfennige. Wie viel Geld bekommt er zurück?“ [es ist eben ein alter Test, aber es wird auch gleichzeitig deutlich, dass die Inflation bei den Postwertzeichen nicht zugeschlagen hat: Eine 8 Pfennig Marke kostet auch heute noch nur 8 Pfennig!]). Auch das „Zahlennachsprechen“ und das „Gemeinsamkeiten finden“ („Was ist das Gemeinsame von Holz und Alkohol?“) gehören in den verbalen Teil.

Im Handlungsteil müssen die Versuchspersonen Bilder, die ihnen vorgelegt werden, zu einer kleinen Geschichte ordnen, schließlich müssen noch – teilweise recht einfache – Puzzles richtig zusammengesetzt und mit Würfeln bestimmte, auf einer Vorlage vorgegebene Muster gelegt werden.
Die Anzahl der gelösten Aufgaben ergeben die Rohpunkte, aus denen die in langen Tabellen vorgegebenen Wertpunkte ermittelt werden und die Wertpunkte ergeben schließlich den IQ. Hier findet auch die Bestimmung des Abweichungs-IQs statt. Angenommen, ein 25-Jähriger hat 102 Rohpunkte, so liest man aus der Tabelle einen IQ von 100 ab. Hat ein 55-Jähriger auch 102 Rohpunkte (also genau so viele Aufgaben gelöst), so bekommt er einen IQ von 110 zugeteilt.

So weit, so gut. Das eigentliche Problem entstand, als die Frage aufgeworfen wurde, was Intelligenz eigentlich ist. Dabei konnte eine lange Liste von „Dingen“ aufgezählt werden, die sicherlich etwas mit Intelligenz zu tun haben. Wie logisches oder mathematisches Denken, 9 diese Tests wurden während des I. Weltkrieges hauptsächlich in den USA durchgeführt, es ging hauptsächlich darum, Leute herauszufinden, die als Offiziere eingesetzt werden konnten (`Army-Alpha‘-Test)

Schulbildung, Erziehung, Umwelt etc., zu einer Definition reichte dies jedoch nicht. Auch die Definitionen aus Lehrbüchern ließen Wünsche offen: „Intelligenz ist die Fähigkeit, Schwierigkeiten in neuen Situationen zu überwinden.“ Oder: „Intelligenz ist die Fähigkeit, aus seinen Erfahrungen zu profitieren.“ WECHSLER selbst gab folgende Definition: „Intelligenz ist die zusammengesetzte oder globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln, vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll auseinanderzusetzen.“ Wenn wir den mittleren Teil der Definition weglassen („vernünftig zu denken“), kommen wir zu dem Schluss, dass die übrigbleibenden Kriterien auch auf einen Ameisenhaufen zutreffen, denn diese Tiere können sich ebenfalls wirkungsvoll mit ihrer Umgebung auseinandersetzen und handeln dementsprechend zweckvoll.

Also lautet die eigentliche Definition: „Intelligenz ist die Fähigkeit des Individuums, vernünftig zu denken.“ Damit sind wir allerdings keinen Schritt weiter: Was ist Vernunft und was versteht man unter Denken? Man kommt nicht vorwärts, ohne erneut sofort wieder definieren zu müssen.

Dies hängt damit zusammen, dass die Intelligenz ein Konstrukt ist, also eine gedankliche Hilfskonstruktion, die dann eingesetzt werden muss, wenn auf das Phänomen selbst nur durch andere Erscheinungen geschlossen werden kann. D. h., ich messe zwar Dinge, von denen ich glaube, dass sie mit Intelligenz etwas zu schaffen haben, aber wissen kann ich dies nicht. Sämtliche Intelligenztests scheitern somit an der Validität, da sie alle vorgeben, Intelligenz zu messen, diese aber gar nicht zu messen ist. Die beste – aber gleichzeitig auch entlarvendeste – Definition stammt von BINET: „Intelligenz ist das, was Intelligenztests messen.“
Nun kann man natürlich nicht behaupten, dass Intelligenztests gar nichts mit Intelligenz zu tun hätten, aber dennoch: Wir wissen nicht, was gemessen wird, aber was gemessen wird, wird gut gemessen.

Weitere Quellen zur Einführung Psychologie
Einführung Psychologie

Kurzvorlesung „Einführung in die Psychologie“
Einführung in die Psychologie

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