Autor/in: Friedhelm Henke

Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege

Stellungnahme zu:
Verantwortungsvoller Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege (Leitfaden des bayerischen Landespflegeausschusses Nov. 2006)

Der Pflegeleitfaden als PDF-Datei

Der überaus akribische Leitfaden stellt die rechtlichen Probleme der Freiheitsberaubung in der Pflege dar. Anhand von Kopiervorlagen zum Heraustrennen mit Checklisten wird die Hierarchie der an der Versorgung eines Menschen Beteiligten gestärkt. So gibt es separate Checklisten für die Leitung, für die Pflegefachkräfte und für die Ärzte. Diese sind zur weiteren Verkomplizierung unterteilt in: Vermeidung sowie fach- und sachgerechte Umsetzung von notwendigen freiheitsentziehenden Maßnahmen. Die Praktikabilität, die verfügbare Zeit zum Ausfüllen und nicht zuletzt die ganzheitliche Erfassung dieser Listen ist anzuzweifeln. Zum Glück lassen die Checklisten Platz für eigene Eintragungen. Diese können naturgemäß rasch subjektiv werden und indirekt verfärbt sein. Sie entsprechen meiner Ansicht nach längst nicht unbedingt immer dem mutmaßlichen Willen der Hauptperson (des zu pflegenden Menschen).


Besonders zu denken geben pauschale Aussagen auf Seite 21 in der dritten Zeile [… ] „Falls Betroffene nicht einwilligungsfähig sind, trifft diese Entscheidung sein gesetzlicher Vertreter, das sind der Bevollmächtigte oder der rechtliche Betreuer.“ und ebenso die wiederholte Verwendung des Begriffs „die einwilligungsfähigen Betroffenen oder die nicht einwilligungsfähigen Betroffenen“  [siehe Seite 23, zweite oder vierte Zeile].

Nur weil ein Mensch nicht mehr rechtskräftig einwilligen kann, darf er doch nicht als einwilligungsfähig bezeichnet werden! Er kann und wird gerade wegen dieser Abstempelung weinen und schreien und/oder Schmerzen, Ängste und Nöte wegen einer Freiheitsberaubung oder anderen unerwünschten pflegerischen Versorgung haben!

Egal, welche Aufgabenbereiche unter Betreuung gestellt wurden oder nicht (egal, wie sehr der zu Pflegende unter Betreuung steht oder nicht), so ist und bleibt es doch selbstverständlich immer Aufgabe der Pflegefachkraft, den mutmaßlichen Wille des zu Pflegenden zu erfassen. Der zu Pflegende wird doch, nachdem er unter richterlicher Betreuung gestellt wurde, nicht aufhören, Gefühle zu haben und zu zeigen. Daran kann die Pflegefachkraft schon viel erkennen, weil sie die meiste Zeit mit ihm verbringt. Sie hat die Aufgabe, zu melden, wenn der Pflegebedürftige vor, während, oder nach einer freiheitsentziehende Maßnahme (wie zwei durchgehende Bettseitenteile) weint, wütend, aggressiv oder resigniert ist.

Eine Freiheitsentziehung wirkt sehr individuell. Sie kann auch beruhigend und/oder als sichernde Zuwendung und zur Therapie (Lage Stabilität) wirken. Dennoch bleibt es beim Ultima Ratio und beim professionellen Umgang, mit stetiger Reflexion, aktualisierter Anamnese, Planung (nach dem Pflegeprozess), Pflegeedukation und -evaluation. Entscheidungen fallen vor den Augen des Betroffenen individueller aus, als es ohne den Betroffenen z. B. im Dienstzimmer der Fall wäre. Dazu gibt es eine Pflegevisite (also mit dem zu Pflegenden, z. B. an dessen Pflegebett). Diese wird wohl leider als Mitarbeiterbeurteilung verwendet, die eigentlich bei der Mitarbeitervertretung anzumelden wäre!

Äußerst fraglich ist auch, warum der Leitfaden die Empfehlungen des BfArM (Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte) für den Umgang mit einer Bauchgurtfixierung völlig ignoriert. Dieser schreibt u. a. durchgehende Bettseitenteile vor. Hersteller zweiteiliger Bettgitter drehen Ihrer Werbeargumentation so, dass die vermeintlich vermiedene Freiheitsberaubung den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen entspräche. Vergessen wird aber die Strangulationsgefahr bei Bauchfixiergurten mit nur geteilten Bettseitengittern und dass Fixierungen das Ultima Ratio darstellen. Kein Pflegeziel, sondern immer ein Pflegeproblem sind, welches in der Pflegevisite (wohlgemerkt am Bett des Betroffenen und nicht über dessen Kopf im stillen Kämmerlein hinweg) zu bearbeiten ist.

Mai 2007
Friedhelm Henke, Michaelis Weg 7, 59609 Anröchte-Berge
Tel.: 02947 / 989602 oder 0170 / 3278544
Fax: 089 / 1488221934
E-Mail: Friedhelm.Henke@gmx.de
Internet: http://www.Menschenpflege.de

Weitere Quellen zum Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege
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Standard „freiheitsentziehende Maßnahme“
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Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen im häuslichen Bereich

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