Autor/in: Christel Satter



Ein Heim vor der Schließung Seite 2

› Bußgeldbescheid des Landratsamtes *** vom 7. 12.99/Auszug:

„Am 16. 07. 99 überprüfte Frau ***, Lebensmittelüberwachungsbeamtin des Landratsamtes ***, den gesamten Küchen und Lagerbereich. …. Der Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums heißt nicht, dass das Erzeugnis nicht mehr verkehrsfähig ist. Er sagt aus, dass ab diesem Zeitpunkt die Verantwortung für den Erhalt aller spezifischen Eigenschaften auf die Personen übergeht, welche diese Lebensmittel zum allgemeinen Verbrauch abgeben ….. Die Gutachten sagen aus, dass die Probe „Speisequark“ einen deutlich bitteren Geschmack aufwies und somit als Wert gemindert i. S. von § 17 Abs. 1 Nr.2 bLmBG beurteilt wird. Die Probe „Lagendauergebäck“ ist wegen abweichenden sensorischen Merkmalen (Geruch muffig, dumpf, Geschmack ranzig) als unappetitlich anzusehen und wird zum Verzehr nicht geeignet beurteilt. Die anderen untersuchten Proben hatten ihre spezifischen Eigenschaften erhalten und sind nicht beanstandet worden.“

3. Ist-Analyse TÜV Südbayern, Eigenanalyse.

Die am 03. 09. 1999 durchgeführte Begehung durch einen Beauftragten des TÜVs Südbayern ergab ein völlig anderes Bild als die Qualitätsprüfung durch den MDK am 16. 07. 1999.

Auszug:

„Abschließende Bemerkungen“


• Mit der Begleitung von Frau *** und Frau *** durchs Haus, konnte bei den in Augenschein genommenen Bewohnern ein guter äußerer gepflegter Zustand erkannt werden. Die Bewohner waren auch sauber und ordentlich gekleidet und wurden bei Notwendigkeit nach dem Essen in ihren Zimmern gewaschen und umgezogen.
• Die Bewohner befanden sich, was ersichtlich war, in einem guten Ernährungszustand. Die Portionen, die die Bewohner zum Mittagessen erhielten, war nach meiner Meinung ausreichend. Bei Bedarf wurde nachgereicht.
• Alle Bewohner erhielten zum Mittagessen Getränke
• In Gesprächen mit Mitarbeitern konnte eruiert werden, dass die Bewohner des betreuten Wohnens nicht mehr in den Wohnbereichen mitversorgt werden.
• Auch wurde von der Heimleitung mündliche Anordnung erlassen, dass die Mitarbeiter darauf achten müssen, dass die Klingeln in den Zimmern funktionstüchtig und von jedem Bewohner, vorausgesetzt er ist noch in der Lage dazu, erreichbar sein müssen; ebenso dürfen keine Bewohnerzimmer abgeschlossen und Bewohner in ihrer Freiheit ohne richterlichen Beschluss respektive eigene Einverständniserklärung beschränkt werden. Dies wurde von den Mitarbeitern bestätigt. Diese Anweisungen sind meiner Ansicht noch als Arbeitsanweisung schriftlich zu verfassen und in einer Mitarbeiterbesprechung oder als Aushang auf den einzelnen Wohnbereichen bekannt zugeben.
• Wie der MDK auf 127 Bewohner kommt, ist für mich nicht nachvollziehbar. Bei meinem Rundgang wurden mir von den Mitarbeitern die jeweils auf dem Belegungsplan angegebenen Bewohnerzahlen bestätigt.
• Im Bericht der Aufsichtsbehörde vom März 1999 wird nicht von Personalmangel gesprochen. Für mich ist deshalb nicht nachzuvollziehen, wie es in nur drei Monaten zu diesem dann erheblichen rechnerischen Personaldefizit kommen konnte, obwohl fast keine Fluktuation stattfand.
• Wenn Frau V, ehemalige PDL, beim MDK um juristische Hilfe nachfragte, so stellt sich für mich die Frage, warum sie keine schriftlichen Verbesserungen oder Konzepte der Heimleitung vorlegte? Nach den Inhalten des § 80 SGB XI hat eine verantwortliche Pflegefachkraft, gewisse, sogar gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben, die sie wahrnehmen muss. Dies kann ihr kein Einrichtungsträger oder Heimleiter verbieten. Wäre Frau V auch nur annähernd ihren Führungsaufgaben nachgekommen, so hätte ihr zumindest auffallen müssen, dass Bewohner ohne richterlichen Beschluss fixiert oder eingesperrt werden, noch dazu, wo sie selbst…. im Nachtdienst tätig war. Auch ist für mich nicht nachzuvollziehen, wie es eine PDL zulässt, dass im Dienstplan ohne ihre Zustimmung Änderungen vorgenommen werden oder mit Bleistift in den Dienstplan geschrieben wird
• In einem Haus dieser Größenordnung gehört die Geschäftsführung nicht in die Hände des Trägers. Es wäre sinnvoller, diese einem Heimleiter gemeinsam mit der leitenden Pflegefachkraft zu übertragen …..
• Diese Lösung wäre einer Schließung auf alle Fälle vorzuziehen, damit den alten Menschen ein weiterer Umzug erspart bliebe. Es sollte doch in den noch notwendigen Gesprächen mit allen Beteiligten ein gemeinsamer Konsens im Sinne der Bewohner, der Behörden und dem Träger zu finden sein ……

Eigenanalyse

Am 1. 08. 1999 trat ich meine Stelle als Pflegedienstleitung im Seniorenheim ***

Folgende Problempunkte waren für mich ersichtlich:

Managementfehler:

• Kompetenzabgrenzung

Die gesamte Verantwortung lag zentral in den Händen der Geschäftsführerin/Heimleiterin, bis 31. 3. 1999 auch Pflegedienstleiterin Frau R. Es gab wenig schriftliche Anhaltspunkte, wo welche Kompetenzen anfingen oder aufhörten. Stellenbeschreibungen, z. B. die der Pflegedienstleitung, der Fachkräfte und Pflegehelfer waren nicht vorhanden.

Transparenz

Die Ermittlung des vorgehaltenen Personals war durch zahlreiche Vertragsänderungen bezüglich der zu leistenden Wochenarbeitszeit für einen Außenstehenden sehr aufwendig. Strafrechtlich relevante Dinge – z. B. freiheitsentziehende Maßnahmen, Verhalten in Notfällen, waren nur mündlich vereinbart oder unzureichend schriftlich dokumentiert. Insgesamt machte die Einrichtung den Eindruck, dass die Pflege der Bewohner im Vordergrund steht, jedoch die strukturellen und organisatorischen Hintergründe nicht ausreichend transparent waren.

Vorgaben nicht eingehalten

Die Dienstplangestaltung entsprach nicht den Vorgaben. Das Pflegepersonal gab wiederholt an, dass für sie die Pflege und Betreuung, nicht die schriftlichen Arbeiten im Vordergrund stünden.
Auch anderen Vorgaben der Behörden wurde nicht ausreichend Rechnung getragen, die Trennung von betreutem Wohnen und Pflegestationen war nicht ersichtlich, dadurch wurden bei der MDK Prüfung vom 16. 07. 1999 auch Bewohner des betreuten Wohnens zu den stationären Bewohnern dazu gezählt.
Die Dokumentation entsprach den Grundanforderungen. Die Leistungsdokumentation war gut; Verlaufsberichte wurden z. T. nicht ausreichend geführt. Pflegeplanung war nicht vorhanden.

Führungsstruktur

Der grundlegendste Fehler war nach meiner Ansicht, dass Frau R., welche vorher eine kleine Einrichtung mit ca. 30 Betten betrieben hatte, ihren bisherigen Führungsstil auch auf die große Einrichtung anwandte. Sie hatte sich zuvor um alles gekümmert, wusste über alles und jeden Bescheid. Auch in dem 120 Betten Haus arbeitete sie in dieser Weise weiter; die Belegung wurde nicht von den Verwaltungskräften vorgenommen, sondern von ihr selbst. Sie kontrollierte alles selbst, kümmerte sich um die Weiterleitung von Rezept Anforderungen und viele Kleinigkeiten. Die Verwaltungskräfte hatten keine klaren Vorgaben, auch keine klare Verantwortung, da Frau R. Fehler selbst sah und bereinigte.

Auch in der Pflege war sie präsent: Als hervorragende Krankenschwester mit langjähriger Berufserfahrung gibt es kaum einen Bereich, in dem sie sich nicht auskennt. Man holte sie, wenn jemand ins Krankenhaus sollte, Schmerzen hatte, wenn es Pflegeprobleme gab und, und, und.

Eine Führungskraft mit diesem Anspruch an sich selbst übernimmt dadurch fast unbegrenzt Verantwortung und vermittelt Mitarbeitern das Gefühl der Sicherheit. Der Preis ist jedoch eine 60 – 70 Stunden Arbeitswoche, ein unerschöpfliches Wissen in allen Bereichen und eine allumfassende Angreifbarkeit, wenn etwas im Haus schiefläuft. Dadurch, dass es keine Stellenbeschreibungen gab, keine klaren Anweisungen, z. B. in Notfällen zu handeln ist, konnte die Verantwortung für Fehlverhalten von Pflegekräften stets „nach oben“ abgegeben werden.

Für die eigentlichen Managementaufgaben, Strukturierung, Abgrenzung eigene Aufgaben/Aufgaben von Mitarbeitern, klare Vorgaben und Tätigkeitsbeschreibungen für Mitarbeiter -war durch die allumfassende Aufgabe keine Zeit, kein Platz und auch fast keine Notwendigkeit. Es stellt sich auch die Frage, ob für Ressourcen von Mitarbeitern die nötige Entfaltungsmöglichkeit vorhanden war.

4. Strukturveränderungen/Qualitätssicherung.

Meine Aufgabe bestand zuerst darin, für meine Position eine klare Kompetenzabgrenzung und Festlegung der Verantwortung zu erreichen. Verantwortung ja, aber nur mit einer Beschreibung der Tätigkeiten (siehe die Stellenbeschreibung Pflegedienstleitung Anhang 7) und dem dazu nötigen Weisungsrecht. Grundbedingung war auch, dass ich für die Personalberechnung und Einstellung zuständig war.

Diese klare Strukturierung war in vielen Bereichen notwendig. Für manche Mitarbeiter war nicht ersichtlich, was genau ihre Aufgaben sind, welches Verhalten in bestimmten Situationen erwünscht war und welches nicht.

Bei der Reihenfolge der Themen standen sich die Mängelliste des MDK, die Problemsammlung der Mitarbeiter des Qualitätszirkels, die Analyse des TÜVs und meine eigene Wahrnehmung gegenüber. Von mir wurde eine Wertung der Dringlichkeit vorgenommen, ebenso eine Miteinbeziehung des Qualitätszirkels, respektive der Stationsleitungen bei einigen wenigen Themen ausgeschlossen, bei denen es um klare behördliche Vorgaben ging, die nicht diskutierbar waren.

Deutlich wird dies beim Thema Fixierungen. Aus dem MDK Bericht vom 16. 7. 1999 ging hervor, dass Türen abgesperrt wurden, ohne dass diese Maßnahme richterlich genehmigt war. Zwar wussten die Mitarbeiter ein Besprechungsprotokoll, machte dies klar, dass sie dieses nicht tun dürften, doch es wurde trotzdem praktiziert.

Mit einer Dienstanweisung am 31. 08. 1999 – siehe Anhang 19 untersagte ich den Mitarbeitern freiheitsentziehende Maßnahmen ohne richterlichen Beschluss. Damit war zunächst nur geklärt, was die Mitarbeiter nicht dürfen. Die Klärung dessen, was sie dürfen, war wesentlich schwieriger. Es bedurfte einer Fortbildungsveranstaltung „Betreuungsrecht“, sowie eines Standards „Umgang mit Fixierungen“- Anhang 10 -, um die Kollegen in die Lage zu versetzen, überhaupt mit dem schwierigen Thema richtig umgehen zu können. Der Standard wurde von mir in Zusammenarbeit mit der Betreuungsstelle erstellt, da in den unterschiedlichen Landkreisen der Bundesrepublik über Fixierungsmaßnahmen das Rechtsempfinden unterschiedlich ist.

Natürlich bedurfte es vieler Diskussionen, um einer abstrakten Rechtsvorschrift auch praktikable Lösungsvorschläge nachzuschieben. Es gibt im Heimalltag immer wieder Situationen, in denen es wesentlich einfacher und für das Pflegepersonal auch logischer wäre, ein Bettgitter hochzuziehen oder bei einem Bewohner die Türe zuzusperren. Ein Praxisbeispiel waren die von beiden Seiten zu öffnenden Bewohner Türen auf der beschützenden Abteilung. Da nicht nur das Pflegepersonal, sondern auch die Mitbewohner in fremde Zimmer gingen und damit nachts für viel Unruhe sorgten, hatte das Personal abgesperrt. Durch einen Austausch der Türgriffe, von innen eine Türklinke, von außen ein Türknauf – wurde der nächtliche „Besuch“ durch andere Bewohner unmöglich, die Zimmerbewohner konnten jedoch ungehindert ihr Zimmer verlassen.

Ein weiterer Kritikpunkt des MDK, Heimaufsicht war die „undurchsichtige Personalsituation“ gewesen.

Um die notwendige Klarheit bei den tatsächlich geleisteten Stunden, oder Überstunden zu erreichen, wurden folgende schrittweise Verbesserungen eingeführt:

Die Dienstzeiten wurden der jeweiligen Anstellung der Mitarbeiter entsprechend verändert. So arbeitete ein Vollzeitmitarbeiter bis zum Oktober 1999 7, 5 Stunden täglich, Teilzeitmitarbeiter teilweise volle Schichten. Um hier eine transparente Struktur zu erhalten, wurden Änderungen zu den Arbeitsverträgen schriftlich fixiert; d. h. Wochenarbeitszeiten von 38,5 Stunden, 30 Stunden, 25 Stunden und 19,75 Stunden festgelegt, da die tatsächliche Wochenarbeitszeit oft mit den ursprünglich geschlossenen Arbeitsverträgen nicht mehr aktuell war. Durch die schriftlichen Änderungen zum Arbeitsvertrag stimmten somit die auf den Dienstplänen angegebene prozentuale Anstellung der Mitarbeiter auch mit den Arbeitsverträgen überein.

Die Arbeitszeiten wurden neu gestaltet, die Vollzeitmitarbeiter arbeiteten nun täglich 7,7 Stunden und hatten bei z. B. 22 Arbeitstagen, die sie tatsächlich geleistet hatten, auch ihr Monatsstundensoll erfüllt. Teilzeitmitarbeiter wurden, bis auf wenige Ausnahmen, so eingesetzt, wie es ihrem Tagesarbeit soll entsprach.

Ein Dienstplan Standard – Anhang 8- wurde in Zusammenarbeit mit den Stationsleitungen und dem konstituierenden Qualitätszirkel erstellt. Hier wurden die Rahmenbedingungen für die Dienstplangestaltung festgelegt.

Die Errechnung der geleisteten Ist-Stunden und der Mehrarbeit wurde von den Stationsleitungen übernommen. Hiermit sollte auch für die Mitarbeiter eine Transparenz geschaffen werden, wie hoch ihr „Stundenkonto“ bereits war, andererseits auch für die Stationsleitungen ersichtlich sein, welches Stundenkontingent ihnen auf Station zur Verfügung steht.

Die Veränderung der Arbeitszeiten hatte eine längere Übergabezeit zwischen den Schichten ebenfalls ein Kritikpunkt des MDK sowie für die Bewohner eine stärkere Präsenz der Tagschicht und damit ein späteres zu-Bett-Gehen zur Folge.

Die Legende zum Dienstplan Anhang 9- verdeutlicht die einzelnen Schichten.

Ohne sonstige Dokumentationshilfen wie Stundenzettel oder Wochenplänen war auf dem Dienstplan nun jederzeit ersichtlich:

  • Welches Monatsstundensoll hat jeder Mitarbeiter
  • Werden die Mitarbeiter entsprechend ihrem Tages soll eingesetzt
  • Wie hoch ist das „Mehrarbeitsstundenkonto“ einzelner Mitarbeiter

Eine weitere Kleinigkeit, nämlich die Angabe bei „U“ (Urlaub) mit einer kleinen Ziffer (U 29, U 28, U 27), wie viele Resturlaubstage dem betreffenden Mitarbeiter noch zur Verfügung stehen. Ermöglichte den Mitarbeitern und den Stationsleitungen auch hier auf einen Blick die Übersicht, wer für das laufende Jahr noch seinen Urlaub abbauen muss.

Die errechneten Mehrarbeits- oder Minusstunden sowie die Resturlaubstage werden am Monatsende in die Personalstatistik im PDL Büro übernommen.

Ein weiteres Instrument zur Qualitätssicherung war die anfangs wöchentliche, später vierzehntägige Medikamentenkontrolle, die noch um die Kontrolle der Notrufglocken in den Bewohnerzimmern und Allgemeinräumen erweitert wurde.

Der MDK hatte eine nicht ausreichende Medikamentenbevorratung beanstandet; ich selbst bei seit Oktober durchgeführten Pflegevisiten auch immer wieder nicht gekennzeichnete Medikamente gefunden.

Wir entwickelten eine Checkliste, wonach die Pflegefachkräfte für bestimmte Bewohner folgendes kontrollieren:

  • Sind die Eintragungen im Medikamentenblatt noch übersichtlich
  • Sind alle vorhandenen Salben vom Arzt verordnet
  • Hat der Arzt alles abgezeichnet
  • Stimmen Kadex und der Inhalt der Medikamentenkörbchen überein
  • Werden abgesetzte Medikamente getrennt aufbewahrt
  • Sind Anbruch Datum und Name auf den Tropfen Flaschen
  • Ebenso auf den Salben
  • Reichen die vorhandenen Medikamente
  • Als letzter Punkt sollten auch die Notrufglocken kontrolliert werden

Die anfänglich wöchentliche Kontrolle wurden auf Anraten des Auditors vom TÜV Südbayern später vierzehntägig durchgeführt, da es sich um eine sehr zeitraubende Maßnahme handelt. Damit wurde das Problem „Medikamente“ für jede einzelne Fachkraft zum eigenen Problem, da festgelegt worden war, welche Fachkraft für welchen Bewohner zuständig und verantwortlich ist und somit ersichtlich wurde, wer seinen Kontrollpflichten nicht nachgegangen war.

Um eine klare Aufgabenabgrenzung, gerade in der Behandlungspflege zu erreichen, wurde eine Stellenbeschreibung für Pflegehelfer -Anhang 13 erarbeitet und jedem Pflegehelfer zur Unterschrift ausgehändigt.

Durch eine Verantwortungsmatrix – Anhang 6- wurde z. B. festgelegt, welche Tätigkeiten Fachkraftaufgaben waren und welche durch Pflegehelfer durchgeführt werden konnten. Somit war hier eine klare Strukturierung entstanden, dass Behandlungspflege nicht zu den Aufgaben der Pflegehelfer zählt. So lächerlich es auch erscheinen mag, aber auch die Behandlung der Bewohner mit Pflegespray, die nun einmal zwangsläufig auch durch die Pflegehelfer erfolgt und erfolgen kann. Wurde per Standard beschrieben, um auf der sicheren Seite zu sein Da im MDK-Gutachten vom 16. 07. 1999 auch der Verdacht geäußert wurde, die Pflegekräfte dürften nur nach vorheriger Absprache mit Frau R. im Notfall ein Arzt holen, entwickelten wir den Standard „Arzt holen in Notfallsituationen“ -Anhang 11, um auch hier für klare Verhältnisse und Verantwortlichkeiten zu sorgen.

Mit der Einführung einer Pflegeplanung wurde die Dokumentation aufgewertet. Vorangegangen war eine Neuerstellung aller Anamnesen, die bei Einzug der Bewohner erstellt und zum größten Teil nicht mehr aussagekräftig waren. Das Formblatt Pflegeplanung, siehe Anhang 16, wurde selbst entwickelt. In dem Teil „Besonderheiten“ finden für den Bewohner wichtige Kleinigkeiten Platz, die in der Pflegeanamnese oder dem Biogratisblatt nicht unterzubringen sind.

Die Pflegeplanung wurde nicht in der Reihenfolge der Aedls, sondern in der Reihenfolge des Tagesablaufes geschrieben. Durch die Unterteilung in Früh-, Spät- und Nachtschicht bietet sie so außer Planung auch einen genauen Tagesablaufplan, der für neue Mitarbeiter eine Handlungsanweisung darstellt. Die Zuordnung der Pflegefachkräfte und der Pflegehelfer zu bestimmten Bewohnern macht deutlich, wer für die Erstellung und Fortschreibung der Pflegeplanung verantwortlich ist.

Folgende Auflistung der bis zum 31. 12. 1999 erstellten Standards, respektive Veränderungen ist nach Inhalten, nicht nach der zeitlichen Reihenfolge geordnet.

Strukturebene

  • Aussagekräftige Personalstatistik mit Qualifikation erarbeitet siehe Anhang 1
  • Überstunden, oder Minusstunden Übersicht bei PDL
  • Tägliche Bewohner, und Personalliste verfügbar
  • Personalbedarfserrechnung anhand des differenzierten Pflegeschlüssels der Bezirke Obb-Anhang 2
  • Aufstockung des Personals Anhang 3
  • Fachkraftquote erhöht Anhang 3
  • Aufschlüsselung der Betreuungspauschale; Berechnung des Personals 1 : 25
  • Bewohner des betreuten Wohnens werden nicht mehr auf den Stationen mit den Mahlzeiten versorgt
  • Konstitutionierung eines Qualitätszirkels – Anhang 4
  • Einführung eines Dienstplanes für das Beschäftigungsteam
  • Legenden zu den Dienstplänen – Anhang 5
  • Veränderung der Dienstzeiten 7,7 Stunden, 6 Stunden, 5 Stunden, 3,85 Stunden, 9,5 Stunden Nachtwache
  • Pausenregelung 1 MA bleibt in der Pause außerhalb des Stationszimmers- (Aufsichtspflicht)
  • Entlastung des Pflegepersonals durch HW-Personal nur noch übliche Reinigungsarbeiten wie Nachtkästchen, Wäscheschrank, Bett vom Pflegepersonal, Rollstühle reinigt Hausmeister
  • Keine Behandlungspflege von Pflegehelfern Anhang 6
  • Stellenbeschreibung PDL – Anhang 7
  • Standard Dienstplangestaltung – Anhang 8
  • Standard Dienstplan legende Pflege, Neufassung 10/99 Anhang 9
  • Standard Umgang mit Fixierungen – Anhang 10
  • Standard Arzt holen in Notsituationen – Anhang 11
  • Standard Arbeitsablauf Frühdienst – Anhang 12
  • Stellenbeschreibung Pflegehelfer – Anhang 13
  • Standard Behandlungspflege nach Qualifikation – Anhang 6
  • Bildung eines Angehörigen Beirats

Pflege

  • Hygienekontrollen auf den Stationsküchen eingeführt
  • Alle Bewohner haben eine erreichbare Notrufglocke
  • Pflegevisiten bei den Bewohnern eingeführt – Anhang14
  • Wöchentliche Medikamentenüberprüfungen/Checkliste – Anhang 15

Dokumentation

  • Am 12. 10. Pflegeplanung eingeführt, Schulungen in allen Stationen.
  • Handzeichenlisten vervollständigt
  • Pflegeplanungsblatt – Anhang 16
  • Dokumentationsüberprüfung eingeführt
  • Dokumentation, Überarbeitung/Neuerstellung aller Anamnesen
  • Nachweisblatt für Fixierungsmaßnahmen – Anhang 17
  • Medikamentenblätter wurden alle überarbeitet
  • Anamnesen wurden bis Mitte Oktober alle überarbeitet
  • Behandlungspflege wird vom Arzt auf eigenem Blatt verordnet
  • Nachweisblatt für Beschäftigung, bewohnerbezogen – Anhang 18

Information

  • Dienstanweisung zum Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen – Anhang 19
  • Alle Fixierungsmaßnahmen wurden überprüft/alle richterlichen Beschlüsse in Kopie auf Station gegeben
  • Runder Tisch mit Ärzten
  • Einführung regelmäßiger Stationsbesprechungen
  • Regelmäßige Treffen des Qualitätszirkels
  • Teilnahme der Nachtwachen an den Stationsbesprechungen

Fortbildung

  • Statistik der geleisteten Fortbildungsstunden ab August 99
  • Einweisung der Stationsleitungen in korrekte Dienstplan Führung – Anhang 8
  • Umgang mit Lebensmitteln Fortbildung zu HACCP für alle MA
  • Fortbildung Betreuungsrecht
  • Fortbildung Qualitätssicherung
  • Fortbildung Mobilität und Bewegung
  • Fortbildungsplanung für 2000

Erstellung eines Haus- und Pflegekonzeptes

Da durch die zahlreichen Medienberichte der Ruf des Hauses stark geschädigt war, mussten weitere Themen wie Öffentlichkeitsarbeit und Arbeit mit Ehrenamtlichen bis zum Jahr 2000 zurückgestellt werden.

Strukturveränderungen innerhalb der R. GmbH:

Zu Jahresbeginn 2000 wurden die Bereiche Hauswirtschaft, Küche, Reinigung, technischer Dienst, Wäscherei, sowie die Lohnbuchhaltung outgesourct. Diese Auslagerung hatte in erster Linie betriebswirtschaftliche Hintergründe, aber auch die Prämisse, dass die örtlichen Heimaufsichtsbehörden nun nicht mehr ihre Zuständigkeit in den Bereichen der Hauswirtschaft hat. Durch klare Leistungsverträge der neu gegründeten Firma *** mit der R. GmbH hatte ab Jahresbeginn die Hauswirtschaft/Küche den Charakter einer Fremdfirma.

Da der zum 1. 10. 1999 eingestellte Heimleiter von der Heimaufsichtsbehörde aus nicht erläuterten Gründen nicht anerkannt wurde, wurde die Stelle der Heimleitung ab 15. 1. 2000 von mir in Personalunion mit der Pflegedienstleitung ausgeübt. Die durch die Auslagerung reduzierte Position Heimleiter hätte betriebswirtschaftlich allenfalls noch eine Teilzeitstelle gerechtfertigt. Jedoch wurde auch diese Personalentscheidung im April 2000 von den Aufsichtsbehörden als nicht erwünscht revidiert und die Wiedereinstellung eines Heimleiters gefordert.

5. Transparenz, der Weg zum Versorgungsvertrag

Bei den vorher aufgelisteten Veränderungen fällt auf, dass sie sich nur zum kleinen Teil auf die direkte Pflege beziehen.

Vielmehr waren es Veränderungen, die sich auf fehlende Strukturen, auf unklare Abgrenzung zu anderen Bereichen oder auf Verdeutlichung bestehender Absprachen bezogen; mit anderen Worten wurden Arbeitsweisen, Kontrollvorgänge, Personaleinsatz, Planung etc. durchstrukturiert und zu Papier gebracht, also transparent gemacht.

Die Vielzahl der getroffenen Maßnahmen war notwendig, um eine Hausschließung zu vermeiden, und zeigte bei den MDK-Begehungen im Februar und März 2000 (diesmal nicht mehr MDK ***, sondern MDK *** Nord) die ersten Früchte, siehe Anhang 20. Die klare Strukturierung und Transparenz hatte zur Folge, dass der zwar im gerichtlichen Vergleich zum 01. 01. 2000 zugesicherte, aber von den Pflegekassen künstlich verzögerte Versorgungsvertrag bis Mitte Mai 2000 nun endlich vorlag. Zwar enthält dieser Versorgungsvertrag eine Befristung bis zum 31. 12. 2000, doch stellt er für das Haus das Überleben schlechthin dar, da wie bereits eingangs erläutert ohne Versorgungsvertrag mit den Kassen das wirtschaftliche Aus erfolgt.

Die Pflegesatzverhandlungen Mitte April schafften die Voraussetzung für die finanzielle Abdeckung des Personalstandes; außerdem sorgt ein Novum in den Vergütungsvereinbarungen für Klarheit, was das Personal soll betrifft: Erstmalig steht eindeutig im Vertrag, auf welchen Personalschlüssel sich die verhandelnden Parteien geeinigt haben. Eine Wiederholung der Vergangenheit, Heimaufsicht/MDK fordern anderen Personalschlüssel, als vereinbart, ist somit ausgeschlossen.

Transparenz hieß für mich jedoch auch eine intensive Beteiligung des Angehörigen Beirats, nachdem der Heimbeirat, wie sicherlich in vielen Pflegeheimen kaum mehr imstande ist, aktiv an Verbesserungen mitzuarbeiten.

Monatliche Treffen mit dem Angehörigenbeirat brachte verschiedene Probleme aus ganz anderer Sichtweise zum Tageslicht. Pflegende haben einen anderen Blickwinkel für auftretende Schwierigkeiten als ein Außenstehender. Auch eine gewisse Betriebsblindheit ist für Mitarbeiter einer Senioreneinrichtung sicherlich nicht ganz auszuschließen. Umso interessanter ist es, Dinge mit den Augen von Angehörigen zu sehen; wie mir auch die teilnehmenden Stationsleitungen bestätigten.

Der Angehörigen Beirat verzichtete ganz bewusst auf eine Satzung, bevorzugte ein unbürokratisches, effektives Zusammenspiel mit der Heim-/ Pflegedienstleitung.

Ein paar der angegangenen Themen waren:

  • Infoblatt für Angehörige bei Neueinzug
  • Bewohnerbefragung durch den Angehörigenbeirat
  • Angehörigenarbeit in Zusammenarbeit mit dem Angehörigenbeirat
  • Miteinbeziehung bei Qualitätskontrollen durch MDK/Heimaufsicht

Zukunftsperspektiven?

Öffentlichkeitsarbeit als weiterer Schritt zur Transparenz ist mit der Vorgeschichte des Hauses nur behutsam möglich. Öffentliche Fortbildungsreihen zu diversen Fachthemen und daran anschließend Fachartikel in der Lokalpresse erschienen uns als die einzige Möglichkeit, uns in der Presse zu präsentieren. Ein Hoch loben des Hauses wäre bei dem immer noch gespannten Verhältnis zur Heimaufsicht taktisch sehr unklug.

Natürlich werden wir anstehende Feste medienwirksam nutzen; auf längere Sicht werden wir auch unsere Zertifizierungs Bemühungen publizieren, doch hier muss noch einiges an Zeit vergehen, bis der Negativtouch des Hauses in Vergessenheit geraten wird.

6. Schlusswort

Ist Papier die Lösung aller Probleme? Diese Frage stellte ich mir mehrfach während der letzten Monate. Es macht nachdenklich, wenn Bewohner-Zufriedenheit und gute Pflege nicht mehr so aussagekräftig sind, dass sie fehlende Strukturierung zum Teil aufwiegen. Ist wirklich die Qualität eines Alten/Pflegeheimes an den vorgehaltenen schriftlichen Lösungen von Problemen zu messen?

Bei einem im September 1999 abgehaltenen Angehörigen Abend wurde mir durch die Äußerungen der Angehörigen im Plenum, wie auch in Einzelgesprächen klar, dass die Pflege im Haus als gut und umfassend angesehen wurde. Es gab Unverständnis und Bestürzung über die behördlichen Entscheidungen.

Es ist nicht wegzudiskutieren, dass es gravierende Mängel gab: Freiheitsberaubung, abgelaufene Lebensmittel, Putzdienste für Pflegekräfte, doch sollte nicht das pflegerische Ergebnis bei allen Prüfungen im Vordergrund stehen, die Bewohner und Angehörigen Zufriedenheit ein wichtiges Indiz für die Versorgung alter Menschen darstellen?

Viele Dinge sind nun klar und transparent dargelegt. Unbestreitbar gab es Verbesserungen und aus einer modernen Unternehmensstruktur ist vieles nicht wegzudenken. Bei einer Einrichtung, die sich aus öffentlichen Geldern finanziert, muss natürlich für den oder die Geldgeber ersichtlich sein, wie die Mittel zum Wohl der Bewohner angelegt wurde. Vorgaben von behördlicher Seite haben (meistens) ihren Sinn; und man kann nicht von einer Gesellschaft leben, ohne sich an deren Spielregeln zu halten.

Unbestritten ist aber auch die Tatsache, dass die Pflegekräfte vor Ort den Umfang des Aufwandes für all die schriftlichen Arbeiten sowohl der Leitung, wie auch ihrer eigenen in keinem Verhältnis zu den dadurch erreichten Verbesserungen der Bewohner- und Mitarbeitersituation sehen. Es verwundert sicherlich niemanden, dass eine Mitarbeiterumfrage, durchgeführt im März 2000, kein positives Bild von Arbeitszufriedenheit ergab. Durchgepeitschte Veränderungen, die viel Arbeit und Aufwand verursachen, der Druck von außen setzte sich fort in Druck nach innen, der Sinn der vielen Aktionen war für die Mitarbeiter nicht mehr erkennbar. Mein Führungsstil wurde als autoritär bezeichnet, die „alten Zeiten“ hochgelobt. Tatsächliche Verbesserungen wie mehr Personal, andere Arbeitszeiten, weniger Überstunden, mehr Fortbildung, stärkere Präsenz der hauswirtschaftlichen Kollegen etc. hatten weniger Gewicht als die durch den Druck verursachte psychische Belastung für das Pflegepersonal.

Der Charme eines Hauses, in dem Probleme unbürokratisch und wohl auch zu unkonventionell gelöst wurden, ist vergangen. Als wohl bestkontrolliertes Haus in Bayern stehen wir alle unter einem enormen Druck. Die von den Aufsichtsbehörden geforderte scharfe Abgrenzung von Hauswirtschaft und Pflege hat das Miteinander nicht gefördert.

Wir hoffen alle, dass nach den noch ausstehenden Begehungen in den kommenden Monaten, das Interesse von MDK und Heimaufsicht etwas weniger akribisch wird, und dass ein Teil der Bürokratisierung wieder einer etwas praxisnäheren Umsetzung weichen kann. Ich wünsche mir sicherlich nicht den im August 1999 vorgefundenen Zustand wieder zurück, doch es ermüdet alle Beteiligten, dass der so notwendige Raum für eigene Entwicklungen und Ideen und die dafür benötigte Zeit nicht im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen. Wir alle möchten weg von der Reaktion auf Gutachten der Aufsichtsbehörden und hin zu einer vernünftigen Qualitätsentwicklung, die für unser Haus maßgeschneidert ist und die alle Kollegen mittragen können.

Nach 10 Monaten harter Arbeit können alle Mitarbeiter im Haus sagen: „Wir haben es geschafft, unser Haus bleibt bestehen, die Arbeitsplätze sind gesichert“. Für mich selbst bleiben jedoch noch Fragen offen:

Ist ein dickes Qualitätshandbuch Gewähr für ein gut funktionierendes Altenheim und für gute Pflege?
Wie wahr ist die Aussage eines Mitarbeiters: „Mit dem ganzen Papier wird den Bewohnern doch nur Zeit für Zuwendung gestohlen?“
Ist die bürokratische Papierflut eine der Ursachen für die Berufsflucht in der Altenpflege?
Wie groß ist die Gefahr, dass vor lauter Außenwirkung die eigentliche Aufgabe eines Altenheimes, nämlich die Wirkung nach innen zu den Bewohnern vernachlässigt wird?
Wie weit kann Behördenwillkür und Gängelei in Deutschland gehen?
Wohin geht die Altenpflege?
Da ich keine dieser Fragen schlüssig beantworten kann, bleibt bei aller Zufriedenheit über das Erreichte ein schaler Nachgeschmack zurück.

März 2000

Nachwort September 2002

Vor nunmehr einem Jahr verließ ich das Seniorenheim ***, um mich als Unternehmensberaterin für Qualitätsmanagement selbstständig zu machen. Die ungeheuren Anstrengungen der Mitarbeiter/Innen und der Leitungskräfte hatte sich bezahlt gemacht: Bei meinem Ausscheiden war das Personal Soll erfüllt, ebenso die Fachkraftquote; das Haus hatte einen unbefristeten Versorgungsvertrag erhalten und war aus der Negativpresse verschwunden, die Mitarbeiterzufriedenheit wieder eingekehrt. Weitere Verbesserungen der Struktur waren eingeführt und liefen problemlos im Pflegealltag mit.

Für mich waren die Erfahrungen in diesem Haus prägend für meine berufliche Zukunft. Noch heute habe ich guten Kontakt zur Betreiberin Frau R., zu ehemaligen Mitarbeiter/Innen. Ich wünsche der Einrichtung weiterhin alles Gute für die Zukunft.

Christel Satter

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