Biografie
1. Biografie (prägende, pflegerelevante Lebensereignisse, er/sie spricht häufig über …, auffällige Verhaltensweisen und mögliche biografische Hintergründe)
Die folgende Lebensgeschichte habe ich über eine Heimbewohnerin geschrieben, die ich schon über einen längeren Zeitraum in meiner berufsbegleitenden Ausbildung betreue.
Meine Informationen habe ich ausschließlich von ihr selbst bekommen, die sie mir in längeren Gesprächen erzählte.
Lebensereignis Kriegs- und Nachkriegszeit
Frau B. wurde am 16.02.1936 als Sechstes von insgesamt zehn Kindern geboren. Sie lebte mit ihren Eltern und Geschwistern auf einem landwirtschaftlichen Anwesen in Schwaig (Niederbayern). Auf Nachfrage, wie sie den Krieg erlebte, erzählte sie mir, wie oft sie aus der Schule geholt worden ist und sich flach auf den Boden legen musste, dann hörte sie schon die Flugzeuge, die ganz tief über sie hinweg flogen.
Inhaltsverzeichnis
- 1 Biografie
- 1.0.1 1. Biografie (prägende, pflegerelevante Lebensereignisse, er/sie spricht häufig über …, auffällige Verhaltensweisen und mögliche biografische Hintergründe)
- 1.0.2 Lebensereignis Kriegs- und Nachkriegszeit
- 1.0.3 Bedeutung für die Pflege:
- 1.0.4 Lebensereignis, Krankheit (Morbus Parkinson, starke Osteoporose mit Rundrücken):
- 1.0.5 Bedeutung für die Pflege:
- 1.0.6 2. Lebenseinstellung (Zuversicht, Vertrauen, Wohlbefinden, Ängste, Sorgen, Misstrauen)
- 1.0.7 Wohlbefinden:
- 1.0.8 Ängste:
- 1.0.9 Sorgen:
- 1.0.10 Zuversicht/Vertrauen:
- 1.0.11 Misstrauen:
- 1.0.12 3. Weltanschauung, Glaube, religiöse Bedürfnisse
- 1.0.13 Glaube:
- 1.0.14 4. Besondere Hinweise an das Team.
„Ich hatte solche Angst, war ja damals noch ein junges Ding und betete immerzu, bitte Herrgott lass meine Eltern und Geschwister am Leben“. Da ihr Vater schon in der Jugendzeit einen schlimmen Unfall erlitt „er bekam die rechte Hand in eine Strohschneidemaschine und verlor vier Finger“. Musste sie bereits als junges Mädchen von früh morgens bis spät abends auf dem Feld mitarbeiten und sich zusätzlich noch um die jüngeren Geschwister kümmern.
Bedeutung für die Pflege:
Für Frau B. ist es essenziell, „gebraucht“ zu werden. Ob zur Mithilfe bei der Wäsche oder zum Abtrocknen des Geschirrs. Da sie zeitweisen von starken Schmerzen geplagt ist, konnte ich schon des Öfteren beobachten wie sie in ihrem Tun zeitweise ihre Schmerzen vergessen kann.
1950 zog sie dann nach Train, wo sie auf einem großen Gutshof ihrer zukünftigen Schwiegereltern zu arbeiten begann. „Das war eine harte und auch eine meiner schönsten Zeit“, erzählt sie mir mit einem verschmitzten Lächeln. „Der Max, der Sohn vom Bauern hat mir gleich gefallen, er hat keine Minute ausgelassen, um mir nachzustellen“. Da Frau B., wie sie selbst sagte, eine fleißige Arbeitskraft war, freuten sich natürlich seine Eltern, als er sie fragte, ob sie ihn heiraten wolle.
1958 wurde dann geheiratet und ein Jahr später bekam sie ihre Tochter Elisabeth, die als Frühgeburt zur Welt kam. „Mein Bruder ist einen Tag vor der Geburt meiner Tochter mit seinem Motorrad verunglückt“, erzählt sie unter Tränen. „Es war so ein Schock, dass gleich die Wehen eingesetzt haben, wie ich es erfahren habe“. Als ich sie fragte, was ihr schönstes Erlebnis gewesen wäre. Antwortete sie mir wie aus der Pistole geschossen „Wir sind im Winter öfter mal in den Tanzstadel gefahren, denn Tanzen war unsere größte Leidenschaft und da wir einen großen Hof hatten waren wir sehr angesehen“.
1973 bekam Frau B. ihre zweite Tochter, die natürlich sehr verwöhnt wurde, wie sie mir erzählte. „Es hat so viele Jahre nicht geklappt, ich wollte einfach nicht schwanger werden“. „All das Glück war mir nicht vergönnt, denn wenige Monate nach der Geburt meines zweiten Kindes verstarb mein geliebter Mann an einem Lungentumor und ich stand allein da, mit noch einem Baby“.
Bedeutung für die Pflege:
Frau B. sucht stets den Kontakt zu anderen Heimbewohnern, denen sie dann immer erzählt wie angesehen sie doch war und was sie alles gehabt hat. Besonderen Wert legt sie auf ihre Garderobe und bei der morgendlichen Grundpflege sieht sie lieber einmal zu viel als zu wenig in den Spiegel. Jeden Sonntag sitzt sie schon mit Lockenwicklern in ihrem Zimmer und möchte die Haare aufgedreht bekommen.
Lebensereignis, Krankheit (Morbus Parkinson, starke Osteoporose mit Rundrücken):
Was Frau B. sehr zu belasten scheint, sind ihre starken Schmerzen und das immer schlimmer werdende Zittern ihrer Hände. Frau B. erzählte mir des Öfteren, wie gerne sie gestickt und gehäkelt habe. „Meine ganze Babywäsche habe ich selbst gestrickt, ich habe nicht aufhören können, bevor es nicht fertig war“. Bis zu ihrem Einzug ins Pflegeheim hat sie ihren Haushalt noch selbst geführt und jeden Mittwochnachmittag kamen ihre Nachbarinnen zum Kaffeekränzchen. Früher war ich ein richtiges Energiebündel und heute ein „Wrack“. (eigene Aussage) des Öfteren konnte ich beobachten, wie Frau B. in ihrem Sessel saß und bitterlich weinte. Auf meine Frage, was denn mit ihr sei, antwortet sie mir immer das gleiche: „Wenn mich der Herrgott doch endlich zu sich hole, dann wäre ich keine Last mehr.“
Bedeutung für die Pflege:
Frau B. muss klargemacht werden, dass sie nicht lästig ist. Es ist wichtig, ihr aufmerksam zuzuhören und auf sie einzugehen. Nach Besprechung mit dem Team, wird versucht einmal im Monat ein Kaffeekränzchen zu organisieren, wo Frau B. all ihre Nachbarinnen und Freundinnen einladen kann. Auch das „garteln“ in unserem großen Garten bringt ihr Ausgeglichenheit und Ablenkung.
2. Lebenseinstellung (Zuversicht, Vertrauen, Wohlbefinden, Ängste, Sorgen, Misstrauen)
Wohlbefinden:
Frau B. besteht abends auf ihre gekühlten Flaschen Bier. „Da kann ich besser einschlafen“, sagte sie lächelnd. Besonderen Wert legt sie auf ihre Haut. Ihr Schränkchen ist voll mit sämtlichen Cremes und Lotionen. Frau B. achtet sehr darauf, dass man die richtige Creme auch für die entsprechende Körperstelle verwendet. Zu schaffen macht ihr die immer zunehmende nächtliche Inkontinenz, sie wäscht sich morgens minutenlang im Intimbereich und fragt fast stündlich, ob man was „rieche“. Seit ein paar Wochen bekommt Frau B. des Öfteren Herrenbesuch und auf meine Frage, wer denn der nette Herr sei, antwortete sie mir: „Der wollt mich schon vor vierzig Jahren, aber da hatte ich ja meinen Max.“ Diese Besuche tun Frau B. besonders gut, man merkt wie fröhlich und ausgeglichen sie danach ist.
Ängste:
Frau B. größte Angst ist, dass ihre Töchter ihr Haus verkaufen wollen. „Das habe ich doch mit meinem Mann zusammen gebaut, wir haben unsere ganze Arbeitskraft und unser ganzes Erspartes hineingesteckt, das kann und will ich nicht verkaufen“, sagt sie mir immer wieder unter Tränen.
Sorgen:
Sie vertraute mir an, dass sie doch mehr für diesen Jugendfreund empfände als sie sich eingestehen wollte. Doch als sie einer Tochter davon erzählte, bekam sie zur Antwort, dass sie sich das aus dem Kopf schlagen und die Freundschaft zu ihm abbrechen sollte. „Habe ich kein Recht mehr auf Liebe“, diese Frage stellte sie mir immer wieder. Ich bemerkte nach den Besuchen der Tochter wie traurig doch Frau B. war und versuchte ihr klarzumachen, dass sie das tun sollte, was sie für richtig halte.
Zuversicht/Vertrauen:
Obwohl Frau B. sehr unter ihrem Gesundheitszustand leidet, schöpft sie immer wieder Kraft und kann sich an kleinen Dingen des täglichen Pflegeablaufs erfreuen. z. B. am Falten der Servietten. Obwohl es ihr sehr schwerfällt, trotz starken Zitterns die Servietten aufs genauste zu falten. „Ordnung ist das halbe Leben“ hört man bei ihr des Öfteren. Auch geht sie öfter in den Garten, um Blumen abzuschneiden, die sie dann liebevoll in einer Vase auf den Wohnzimmertisch stellt.
Misstrauen:
Frau B. begegnet jedem neuen Heimbewohner oder Pflegekraft mit einer gewissen Scheu. Sie lässt nicht jeden gleich an sich heran und es bedarf einer gewissen Zeit ihr Vertrauen zu gewinnen. Einmal konnte ich mitanhören, wie sie zu einer Kollegin, die ihr gerade die Haare aufdrehen wollte, sagte: „Lass das, das kannst du nicht, schick mir eine andere Schwester“.
3. Weltanschauung, Glaube, religiöse Bedürfnisse
Glaube:
Frau B. ist streng gläubig (römisch-katholisch). Sie lässt sich jeden Sonntagmorgen von ihrer Tochter in die Kirche fahren. Auch abends beim Zubettgehen betet sie ein Vater unser und betet den Rosenkranz. Religiöse Bedürfnisse:
Wenn sie einmal nicht zum Gottesdienst geht, schaut sie sich die Messe im Fernsehen an und singt die Kirchenlieder lauthals mit. Sie war früher im Kirchenchor, erzählte sie voller Stolz. Aber am schönsten waren für sie die weihnachtlichen Christmetten, wie sie mir erzählte. Morgens wartet sie schon ungeduldig auf die Heimatzeitung, um die Todesanzeigen zu lesen. Da sie viele Leute aus unserem Dorf kennt, ist fast täglich jemand dabei über den sie, was weis und über den sie etwas zu erzählen hat.
4. Besondere Hinweise an das Team.
Da Frau B. sehr unter ihrem immer schlimmer werdenden Gesundheitszustand leidet, ist es jetzt angebracht auf ihre bekannten Vorlieben einzugehen und sie mit Gesprächen zu Neuem zu motivieren. Außerdem legt sie großen Wert auf Pünktlichkeit insbesondere bei der Ausgabe der Medikamente und beim Schlafen gehen, das vom Pflegepersonal berücksichtigt werden sollte. Durch Einfühlungsvermögen und ein bisschen Geduld seitens der Pflegekraft sollte es möglich sein ihr Vertrauen zu gewinnen und eine individuelle Pflege zu gewährleisten. Denn nur durch konkretes Vorgehen kann eine Vertrauensbasis geschaffen werden und da sollten alle zusammen im Team an einem Strang ziehen.