Nonverbale Beobachtung eines Bewohners
Wie ist die Betreuung verlaufen? Was haben Sie erlebt?
Seit ca. 2003 leidet Herr R. an Demenz und seit ca. 2004 langsamer Sprachverlust.
Er saß oft in seinem Entspannungssessel im Gemeinschaftsraum mit den anderen Bewohnern und schaute Fernsehen.
Auch während des Tages benötigte er viel Entspannung und schlief viel. Aufgrund seiner Teilnahmslosigkeit und mangelnder Kommunikation war es oft schwer zu sagen, wie es ihm geht.
Die Fähigkeiten von Herrn R. sind sehr eingeschränkt und je nach Tagesform sehr unterschiedlich. Auch während eines Tages konnten seine Fähigkeiten und die Mithilfe bei der Pflege sehr unterschiedlich sein und mehrmals täglich wechseln. Teilweise half er noch bei manchen Pflegehandlungen mit, meist jedoch musste seine Pflege voll übernommen werden.
So hat er sich morgens partiell selbst rasiert, musste aber an anderen Tagen von mir rasiert werden. Auch ist er partiell allein, oder mit weniger Unterstützung gelaufen, ein anderes Mal war er auf den Rollstuhl angewiesen. So kam es einmal vor, dass er versucht nicht abgemeldet das Heim zu verlassen. Plötzlich war er ein absolut gehfähiger Mensch, lief ohne Hilfsmittel und zielsicher Richtung Tür.
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Auch beim Essen zeigte Herr R. sehr unterschiedliche Tendenzen, stellenweise aß er allein ohne Hilfe, zu anderen Tageszeiten musste ihm das Essen angereicht werden. So auch trank er seinen Saft stellenweise aus einem Glas, ein anderes Mal musste der Schnabelbecher zum Einsatz kommen, einmal gar musste sein Getränk angedickt werden und mit dem Löffel angereicht werden.
Wie hat der gepflegte Mensch auf Ihre Pflegehandlung reagiert?
An welchen Äußerungen oder Signalen haben Sie das erkannt?
Bei der Körperpflege und beim Eincremen schien er mit meinen Pflegehandlungen einverstanden, und zeigte mir das durch seine Reaktionen, indem er zum Beispiel beim Eincremen der Füße diese angehoben hat. Mit dem An- und Auskleiden war Herr R. teilweise anderer Meinung als ich. Meist hat er Unterstützung gezeigt, indem er die Arme oder Beine angehoben hat. Dann wieder wollte er nicht an oder ausgezogen werden, dabei zeigt er keine Hilfe oder auch eine leichte Tendenz zur Vermeidung, indem er seine Arme nicht heben mochte.
Toilettengänge waren ihm eher lästig, er ging nur zögerlich oder mit Unterstützung von Rollator oder Rollstuhl zur Toilette.
Die Rasur hingegen schien ihm bedeutungsvoll zu sein und zeigte eine ungenügende Rasur durch Reiben am Kinn an. Meine Hilfe beim Essen kam ihm anscheinend sehr gelegen und ließ sich die Speisen gerne anreichen. Auch wenn ihm das Essen selbst möglich gewesen wäre, schien er sogar auf meine Hilfe zu hoffen. Ihm angebotene Aktivitäten wie Ball zuwerfen oder malen nahm er gerne an. Allerdings war seine Konzentrationsfähigkeit und seine Ausdauer von eher gering, nach 10 bis 20 Minuten benötigte Herr R. wieder eine längere Ruhepause.
Inwieweit konnten Sie diese Signale und Äußerungen deuten?
Wo waren Sie eventuell unsicher?
Die ersten 2 bis 3 Tage fiel mir die Deutung der von Herrn R. ausgehenden Signale schwer. Doch mit der Zeit lernt man den Menschen besser kennen und versteht dann seine Signale. Mittlerweile kann ich, glaube ich, in etwa sagen, wie er auf meine Pflegehandlungen reagiert, dazu kann ich weniger seine Mimik oder Gestik in Betracht ziehen. Da er vorwiegend mimische Reaktionen kaum noch zeigt, umso mehr musste ich auf seine Haltung und die Blickrichtung achten, um seine Signale deuten zu können. So erinnere ich mich an eine Situation beim Mittagessen: Nachdem ich Herrn R. sein Mittagessen angereicht hatte, fragte ich, ob er einen Nachschlag möchte, er zeigte mit dem Zeigefinger auf seinen Teller, was ich als Verlangen nach einer 2. Portion deutete. Dass er auch diesen Teller noch vollständig aufaß, zeigte mir, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag.
Als er seine 2. Portion auch gegessen hatte und ich selbst neben ihm mein Essen zu mir nahm, schaute er verheißungsvoll auf meinen Teller und ließ seinen Blick nicht mehr davon ab. Das sagte mir, dass er wohl gerne noch eine 3. Portion hätte. Als ich erklärte, dass es gleich noch einen Nachtisch gibt, schien er zufrieden.
So glaube ich auch sagen zu können, dass er meine Hilfe gerne in Anspruch genommen hat, und sie oftmals auch
ausnutzte: wenn ich ihm z. B. Essen anreichte und zwischendurch zu einem anderen Bewohner gerufen wurde, konnte er wie durch ein Wunder wieder selbst essen.
So waren wir auch in einer Bäckerei Berliner kaufen, wieder nach Hause ging ich knapp 1 Minute in der Küche, um Kaffee zu holen, als ich zurückkam, hatte Herr R schon die Tüte geholt und aß bereits den ersten Berliner.
Oder: Sobald der Rollstuhl in Sichtweite ist, läuft er keinen Meter, obwohl dies bis dahin wunderbar funktionierte.
Im Nachhinein kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass Herr R. mit meiner Pflege sehr zufrieden war.
Denn als ich mich an einem der letzten Tage bei Dienstende von ihm verabschiedet habe, hat er mir über die Wange gestreichelt, was ich bisher bei keinem seiner Pfleger erlebt habe. Ein Grund dürfte sein, dass ich ihm sehr viel Zeit gewidmet habe.
Auf welche Signale und Äußerungen werden Sie zukünftig besonders achten?
Welche biografischen Informationen sind für Ihre Interpretation besonders wichtig?
Ich denke, dass für eine zielgerichtete Beobachtung alle nonverbalen Signale eine wichtige Rolle spielen, sei es die Haltung, Gestik, Mimik oder der Gesichtsausdruck, alle zusammen können die Deutung optimieren. Fehlt auch nur eines, so wird die Deutung schon wesentlich erschwert.
Aber da bei meinem Bewohner die Mimik so gut wie nicht vorhanden war, glaube ich, dass gerade diese eine große Rolle spielt, und ich darauf und auf die Gestik besonders achten werde. Dabei spielt die Biografie eine sehr große Rolle. Daraus lassen sich bedeutungsvolle Informationen gewinnen, die für die Betreuung und Pflege wichtig sind. So lassen sich seine Vorlieben, seine Hobbys und Dinge, die er gar nicht mag ermitteln und damit die Pflege zielgenau ausrichten. Und ich erfahre, warum er in welcher Situation wie reagiert, was ihm und mir die Pflege wesentlich erleichtern. Insofern bin ich für jede biografische Information dankbar.
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