Alkoholabhängigkeit
Definition
Alkoholabhängig bzw. alkoholkrank sind Menschen, wenn sie typische
Symptome wie
» Toleranzentwicklung
» Kontrollverlust
» Entzugserscheinungen
» Unfähigkeit zu dauerhafter Abstinenz
vorweisen.
» Alkoholmißbrauch führt zu körperlichen und / oder sozialen Schäden ohne
Zeichen einer Abhängigkeit
Epidemiologie:
Der Konsum alkoholischer Getränke ist nach dem 2. Weltkrieg kontinuierlich
gestiegen.
Zur Zeit liegt der Konsum jährlich bei knapp 12 Litern reinen Alkohol pro Kopf
der Bevölkerung in Deutschland.
==> 3 Millionen Alkoholabhängige in Deutschland
==> 5 % der erwachsenen Männer
==> 2 % der erwachsenen Frauen
==> Todesfälle an Leberzirrhosen korreliert mit dem Alkoholkonsum
==> hohe Suicidraten (ca. 15 %)
Der Anteil von Alkoholabhängigen unter den Patienten verschiedener Abtei-
lungen der Kliniken wird unterschätzt.
Behandlungsprävalenz:
- 30% aller Patienten in psychiatrischen Krankenhäusern
- 20% Alkoholabhängige in internistischen und chirurgischen Abteilungen
- 10% der Patientinnen in der Gynäkologie
Die Diagnose einer Alkoholabhängigkeit wird oft übersehen.
Richtige Diagnosestellung:
- 66% Psychiatrie
- 50% Innere Medizin
- 20% Chirurgie
- 7% Gynäkologie
Diagnosestellung und Gespräch sind schon therapeutisch wirksam.
» Ätiologie:
Es gibt keine prädisponierende „Alkoholikerpersönlichkeit“
multifaktorielles Bedingungsgefüge
- individuelle Faktoren (genetische Belastung, Biographie)
- Umweltbedingungen (schwerwiegende emotionale und soziale Störungen
im Kindes- und Jugendalter) - spezifische Wirkung der Droge Alkohol
» Symptome:
körperliche:
- reduzierter Allgemeinzustand
- Inappetetenz
- Gewichtsverlust
- Muskelatrophie
- gerötete Gesichtshaut mit Teleagiektasen (bleibende Erweiterung kleiner,
oberflächlicher Hautgefäße) - Spider naevi
- Gastroduodenitiden mit Erbrechen und Durchfall
- vermehrte Schweißneigung
- feuchte, kühle Akren (= distale Teile des Körpers: Finger, Zehen, Hände,Füße, Nase, Kinn)
- Schlaf- und Potenzstörungen
» psychisch:
- Angst
- dysphorische und depressive Verstimmungen
- innere Unruhe
» Folgeschäden:
Akute Alkoholintoxikation
» „einfacher“ Rausch
– je nach Trinkgewöhnung
- gehobene Stimmung
- Abbau von Ängsten und Hemmungen
- Steigerung des Antriebes und der Motorik
- Dysphorie, Gereitzheit, Ermüdung
- Benommenheit und Koma
- Dysarthrie, Störungen der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Urteilskraft und
Koordination
» „Komplizierter“ Rausch (= pathologischer Rausch)
– keine quantitave Steigerung des „einfachen Rausches“, sondern qualitativ
anders
- häufig bereits durch niedrige Alkoholmengen ausgelöst
- in der Mehrzahl der Fälle Dämmerzustand
- persönlichkeitsfremde Verhaltensstörungen
- Aggressivität
- Störung von Orientierung und Bewußtsein
- Angst und Gereiztheit
- Amnesie
» soziale Folgen
- sozialer Abstieg (familliäre Auseinandersetzungen)
- Scheidungen
- Verlust von Freunden und Bekannten
- Leistungsabfall und Arbeitsplatzverlust
- Trunkenheitsfahrten, Führerscheinverlust, evtl Straftaten (Beschaffunfgs-
kriminalität)
» körperliche Folgen
- gastrointestinale Erscheinungen (Leberzirrhose, Ösophagusvarizen-Blutung,
Mallory- Weiss- Syndrom, Gastritis, Resorptionsstörungen, Fettleber, Pankreatitis) - Hypertonie, Kardiomyoparthie
- Mangelzustände der Vitamine B 1, B 2 und B 6
- hormonelle Veränderungen (Schilddrüse, Nebennierenrinde, Gonaden)
- Krebsrisiko
Gruppenarbeit:
1. Gruppe:
Wie wirkt Alkohol wenn wenig konsumiert wird?
– Kontaktbereitschaft wird gefördert
– „entspannt, gelöst, beschwingt, lustig“
– Abbau von Hemmungen bei Kontakt- / Gesprächsaufnahme
– Förderung der Geselligkeit
– vermehrter Rededrang
– Selbstkritik
– Aggressivität
2. Gruppe:
» Wie wirkt Alkohol wenn viel konsumiert wird ?
– enthemmt sein („Strippen“)
– distanzlos („anquatschen, antatschen“)
– euphorische und mutige Stimmung
– Egal-Gefühl (Geld)
– Aggressionen
– Gedächtnisverlust bis zur Amnesie
– Libido
– Persönlichkeitsverlust
– Emotionalität
– Ehrlichkeit (Meinungen mitteilen)
– gesteigerte Phantasie
– Geltungsdrang
auf der körperlichen Ebene:
– verwaschene Sprache
– Störungen des Gangbildes und der Wahrnehmung
– Müdigkeit
– Verlust der Reflexe (Einnässen, Einkoten, Erbrechen)
» Diagnostik:
Die Diagnostik ruht auf zwei klinischen Säulen:
1. Leitsymptom (nach ICD-10)
– starker Wunsch / Zwang, Substanzen (Alkohol) zu konsumieren
– verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Menge
des Konsums
– erneuter Substanzgebrauch lindert Entzugssymptome
– Entzugssyndrom
– Toleranz: ursprünglich durch niedrige Dosen hervorgerufene Wirkungen
erfordern im weiteren Verlauf zunehmend höhere Dosen
– eingeengtes Verhaltensmuster im Umgang mit der Substanz
– fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen oder Interessen
zugunsten des Substanzkonsums
– anhaltender Substanzkonsum trotz Nachweis eindeutig schädlicher Folgen
(körperlich, sozial, psychisch)
Mindestens 3 von 8 Kriterien müssen vorliegen, um die Diagnose einer
Abhängigkeit zu stellen.
2. Laborwerte
pathologische Erhöhung bei:
– Gamma-GT (Gamma-Glutamyl-Transferase)
– bei 70 – 80% der Alkoholabhängigen erhöht
– MCV (mittleres Erythrozytenvolumen) bei mehr als zwei Drittel der Alkohol-
abhängigen erhöht
das MCV ist zeitlich stabiler und kann noch Wochen nach Beginn einer
Abstinenzphase nachgewiesen werden
weitere diagnostische Kriterien:
– „biologische Marker“ (CDTund 5 Hydroxytrytophol)
– Fragebogen zur Feststellung der Abhängigkeit
(MALT = Münchner Alkoholismustest)
» Entzugssyndrom:
vegetatives Syndrom (Prädelir) nach Absetzen von Alkohol:
- Brechreiz, Durchfälle
- Tachykardie, Hypertonie
- erhöhte Schweißneigung, feuchte kühle Akren
- Schlafstörungen
- generalisierte Krampfanfälle (Grand mal)
- Ataxie, innere Unruhe
- Antriebssteigerung
- Tremor, Dysarthrie
- Halluzinationen (vorwiegend optisch)
- ängstliche, dysphorische, depressive Verstimmungen
- Schreckhaftigkeit
- Wahrnehmungsstörungen und Distanzminderung
– Dauer des Entzugssyndroms ca. 3 – 7 Tage
» Medikamentöse Behandlung:
– Gabe von Clomethiazol (initial 2 – 4 Kapseln a‘ 192 mg), dann alle 2 – 4 Std.
zwei weitere Kapseln (max. 24 Kapseln / Tag).
Anschließend schrittweise ausschleichen über ca. 1 Woche.
Delirium Tremens:
- Störung der Orientierung zeitlich, örtlich und situativ (evtl. zur Person)
- Bewußtseinsminderung
- optische Halluzinationen (Insekten, kleine Tiere etc.)
– ca. die Hälfte aller Delirien beginnt mit einem zerebralen Krampfanfall !
» Therapie:
– sofortige KH – Einweisung
– Gabe von (z.B.) Haloperidol, Benzodiazepine, Clomethiazol
Zusatzdiagnosen bei Alkoholabhängigen (Komorbidität)
» bei 40 – 60% der alkoholabhängigen Frauen
– Angststörungen
– depressive Syndrome
– Persönlichkeitsstörungen (seltener)
bei Männern 20 – 40% der Alkoholabhängigen
– depressive Erkrankungen
– Angststörungen
– Persönlichkeitsstörungen
10% zusätzlich abhängig von anderen Substanzen
» Typologie – Einteilung nach Jellinek:
1. Alpha – Alkoholiker
- Konflikt- und Erleichterungstrinker
- kein Kontrollverlust
2. Beta – Alkoholiker
- Gelegenheitstrinker
3. Gamma – Alkoholiker
- variables Trinkmuster mit häufigen Räuschen und kurzen Abstinenz-
zeiten - Trinker mit starker psychischer und körperlicher Abhängigkeit
4. Delta – Alkoholiker
- Gewohnheitstrinker mit ausgeprägter körperlicher und psychischer
Abhängigkeit und Unfähigkeit zur Abstinenz - konstant hoher Konsum, meist nicht bis zum Rausch
5. Epsilon – Alkoholiker
- Episodische Trinker mit starker psychischer Abhängigkeit
(Kontrollverlust), („Quartalssäufer“)
Phaseneinteilung:
1. Präalkoholische Phase
“ gehäuftes Erleichterungstrinken
2. Prodomalphase
“ heimliches Trinken
“ Anlegen von Alkoholvorräten
“ Auftreten von Erinnerungslücken („Fimriß“)
3. Kritische Phase
“ Kontrollverlust
“ vergebliche Versuche mit dem Trinken aufzuhören
“ Probleme am Arbeitsplatz
“ Interesseneinengung
4. Chronische Phase
“ Nachlassen der Alkoholtoleranz
“ Auftreten von schweren körperlichen Folgeschäden (z.B. Delir)
“ oft tagelange Räusche
Therapie:
individuelle Beratung je nach Krankheitsstadium
1. bei schädlichem Gebrauch
– Gespräch mit Hinweis auf Warnsymptome
2. bei Alkoholabhängigkeit
– aufklärendes und konfrontierendes Gespräch
3. Überweisung in Fachambulanz bzw. Suchtberatungsstelle
Entgiftung:
==> erfolgt in medizinischen Abteilungen der Allgemeinkrankenhäuser oder
in psychiatrischen Kliniken
» Ziele:
- stationäre Entwöhnungstherapie
- ambulante Behandlung
- Selbsthilfegruppen
Entwöhnung:
==> schließt nach Möglichkeit direkt nach der Entgiftungsbehandlung an
Ziel:
- Festigung des Abstinezwunsches
individuelle Therapieplanung (je nach Stadium der Erkrankung)
– ambulante Behandlung
– teilstationäre Behandlung
– stationäre Kurzzeitbehandlung (4 – 6 Wochen)
– mittelfristige Behandlung (2 – 4 Monate)
– 6 Monate Behandlung bei schlechter Prognose
ambulante Nachbetreuung und Selbsthilfe:
==> durch Weiterbehandlung / -betreuung in Fachambulanzen oder
Beratungsstellen
==> Teilnahme an Selbsthilfegruppen (Anonyme Alkoholiker, Blaukreuzler,
Guttempler etc.)
» Verlauf und Prognose:
Einteilung in ==> Kontaktphase
==> Entgiftungsphase
==> Entwöhnungsphase
==> Nachsorgephase
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